Johannes Corputius und der Stadtplan von 1566

Spätestens im Jahr 1562 nahm Mercator einen zwanzigjährigen Studenten namens Johannes Corputius bei ihm auf, um ihm die Arbeitstechniken der Landvermessung und der Kartographie beizubringen. Das erlernte Wissen setzte der junge Mann in der Topographia Duisburgi Urbis um, einer Schrägansicht der Stadt Duisburg, die heute als Corputiusplan bekannt ist.

So wie Gerhard Kremer seinen Nachnamen zu Mercator latinisierte, gab sich Johannes van den Kornput in seiner Studentenzeit den Gelehrtennamen Corputius. Er stammte aus einer bürgerlichen Familie im niederländischen Breda und sollte nach dem Wunsch seiner Eltern eigentlich Jura studieren. Stattdessen lernte er Vermessung, Kartographie, Gerätebau und Kupferstechen bei Mercator, bei dem er auch zeitweise wohnte. Außerdem lernte er Griechisch bei Mercators Schwiegersohn und Rektor des akademischen Gymnasiums Johannes Molanus.

In dieser Zeit begann er mit der Arbeit an seiner Stadtansicht von Duisburg. Sie war dem Landesherren, Herzog Wilhelm V. von Jülich, Kleve und Berg, genannt „der Reiche“, gewidmet und sollte Duisburg als geeigneten Standort für eine geplante Universität bewerben. Für die Vorarbeiten an dem Plan bestieg Corputius als erstes den Turm der Salvatorkirche und peilte von dort hohe Punkte in der Stadt an, wie den Turm der Marienkirche, Türme der Stadtmauer und andere markante Orte. Auf einer Kreisbahn mit der Salvatorkirche im Zentrum trug er jeden markanten Punkt mit seinem Winkel ein. Dabei fungierte die Achse Salvatorkirche-Marienkirche als 0°-Linie. Als nächstes wiederholte er den Vorgang vom Turm der Marienkirche aus. So erhielt er für jeden Ort zwei Winkel und konnte die Abstände ins richtige Verhältnis zueinander setzen. Die Entfernungen maß er, indem er die Strecke auf geradem Wege ablief und seine Schritte zählte.

Erste Messskizze mit fehlerhafter Winkelsumme von 367,5°
Erste Messskizze mit fehlerhafter Winkelsumme von 367,5°
Zweite Messskizze
Zweite Messskizze

Zuletzt zeichnete er alle Häuser, Gärten, Brunnen, Mauern, Hütten usw. ein, um das Bild zu vervollständigen. Nachdem er im Winter 1562/63 mit seinen Zeichnungen zufrieden war, stach er sie in vier Kupferplatten. Dabei muss man die Zeichnung spiegelverkehrt stechen, damit das von der Platte gedruckte Bild nachher richtig herum ist.

Nachdem Corputius die graphischen Arbeiten abgeschlossen hatte, fügte er dem Plan einen Text zur Geschichte der Stadt Duisburg hinzu, den der Historiker Cornelius Wouters verfasst hatte. Darauf folgen eine Legende zu markierten Punkten in der Stadt und eine Beschreibung des geografisch-wirtschaftlichen Potenzials der Stadt und ihrer Umgebung aus Corputius‘ eigener Feder. Als er im Februar 1565 diesen Text schrieb, fror der Rhein bei Duisburg zu und das aus Süden nachströmende Wasser verursachte große Überschwemmungsschäden. Dabei verlagerte sich der Rhein beinahe wieder in sein altes Bett das direkt vor den Mauern der Stadt liegt. Da die Lage des Rheins für die wirtschaftliche Geschichte der Stadt so bedeutend war, fügte Corputius dem Text unter dem Plan einen Abschnitt über diese aktuellen Ereignisse hinzu.

Auffällig ist, dass Corputius‘ Lehrmeister Mercator nicht in dem Text unter dem Plan und auch sonst nirgendwo erwähnt wird. Andere Gelehrte wie der Theologe Georg Cassander, der Dichter Karl von Utenhove und der schon erwähnte Cornelius Wouters hingegen sind mit eigenen Beiträgen vertreten. Über die Gründe kann nur spekuliert werden. Es ist denkbar, dass Corputius zu diesem Zeitpunkt nicht mehr bei Mercator, sondern bei Karl von Utenhove wohnte, denn dieser widmet sein Lobgedicht auf Corputius, das im Textteil des Plans abgedruckt ist, dem Gastfreunde (hospes) – womit allerdings auch jeder Fremde, also ein Besucher der Stadt Duisburg, gemeint sein kann.

Jedenfalls kehrte Corputius kurz nach der Veröffentlichung des Plans in seine Heimatstadt Breda zurück. Von dort wollte er nach Italien und Griechenland aufbrechen, um die Kunst des Festungsbaus zu erlernen. Ob er diese Länder tatsächlich besucht hat, ist nicht bekannt. Festungsbau-Ingenieur ist er aber wohl geworden, denn im Achtzigjährigen Krieg (1568–1648) schloss er sich als solcher der niederländischen Unabhängigkeitsbewegung an. Im Jahr 1578 taucht er in den Quellen als Hauptmann van den Kornput im friesischen Regiment unter Georg von Lalaing wieder auf. Bei der Belagerung von Steenwijk 1580/81 verteidigte er die Stadt erfolgreich gegen die Spanier. Von der Belagerung ist eine Stadtansicht als Kupferstich erhalten. Im Vordergrund erkennt man das spanische Heer vor der Stadt. Es wird vermutet, dass der Hauptmann hier noch einmal als Kupferstecher tätig geworden ist. Zuletzt lebte er in Groningen, wo er im Jahr 1611 verstarb.

Der Stadtplan auf vier Kupferplatten war 1564 fertig gestellt. Der Text unter dem Plan entstand im folgenden Jahr auf einer separaten fünften Kupferplatte. Aller Wahrscheinlichkeit nach wurde das Werk im Jahr 1566 gedruckt, gerahmt und im Rathaus aufgehängt. Vermutlich war der Textteil aber nicht mit dem Bildteil zusammen in einem Rahmen, sondern in einem separaten darunter. Dieser muss im Laufe der Zeit entfernt worden sein, denn der Historiker Johann Hildebrand Withof hat ihn dort um 1740 nicht mehr vorgefunden. Er beklagte außerdem, dass der Plan schwer zu bekommen sei. Der Duisburger Pfarrer Johann Wilhelm Nosse hatte in dieser Zeit noch schwarz-weiß-Nachdrucke der vier Bildplatten von einem Buchhändler im südholländischen Dordrecht kaufen können. Die Kupferplatten habe der Händler aber recyceln lassen. Auch der Originaldruck des Duisburger Rathauses muss im 18. oder 19. Jahrhundert verloren gegangen sein. Erst 1889 wurde ein koloriertes Exemplar mit Textteil zusammen mit Karten von Gerhard Mercator in der Stadtbibliothek von Breslau gefunden. Von diesem Exemplar ließ die Stadt Duisburg 1897 und erneut 1925 fotomechanische Kopien erstellen. Das Breslauer Original ist zusammen mit den Mercator-Karten im Zweiten Weltkrieg verloren gegangen. Nach dem Verlust des Originals konnten nur noch Nachdrucke der Kopien von minderer Qualität erstellt werden. Im Jahr 1966 tauchte dann aber in den Niederlanden ein schwarz-weiß-Druck der originalen Kupferplatten ohne Textteil auf. Dieser letzte bekannte erhaltene Originaldruck hängt nun in der Mercator-Schatzkammer in unserer Dauerausstellung. Hochauflösende Scans dieses schwarz-weiß-Drucks sowie einer Kopie des kolorierten Breslauer Exemplars stehen nun allen interessierten bei Wikimedia Commons zur Verfügung.

 

Autor: Dr. Dennis Beckmann

 

>> Auf unserem interaktiven Plan können Sie auf eigene Faust die zum Teil kuriosen Details des Stadtplans erkunden.