Der Erdglobus von 1541 und das Problem der Navigation

Mercators Erdglobus entstand während seiner Zeit in Löwen, heute Belgien, bevor er nach Duisburg umzog. In Löwen lernte er von seinem Lehrer Gemma Frisius die Herstellung geografischer Instrumente und fertigte Kupferstiche von der Erdoberfläche an. Schon 1536 erschien ein Paar aus Erdglobus und Himmelsglobus unter Frisius‘ Namen , für das Stiche von Mercator zum Einsatz kamen. Nach seiner Lehrzeit brachte Mercator auch seinen eigenen Globus heraus. Von den flachen Kupferplatten druckte man die Abbildung der Erdoberfläche zunächst in mehreren schmalen Segmenten auf Papier. Diese wurden anschließend auf einer Kugel aus Holz, Gips und Pappmaché so aneinander geklebt, dass sie ein geschlossenes Bild von der Erde ergaben. Für Nord- und Südpol gab es je eine kreisförmige Fläche zum Aufkleben.

Während seiner Zeit bei Gemma Frisius in Löwen entwickelte Mercator außerdem eine Vorliebe für die Kursivschrift. Für die Kartographie war sie besser geeignet als die im deutschen Sprachraum verbreitete gotische bzw. Frakturschrift, da man sie auch in kleinen Schriftgrößen noch gut lesen konnte. Mercators „Handbuch der Kursivschrift auf Karten“ von 1541 erreichte vier Auflagen und setzte die Kursivschrift als Standard in der Kartographie durch.

Seite 21 aus Mercators Abhandlung über die Kursivschrift
Seite 21 aus Mercators Abhandlung über die Kursivschrift

Im selben Jahr brachte der nun ausgelernte Mercator auch seinen eigenen Erdglobus heraus. Dieser wies gegenüber dem Frisius-Globus einige Neuerungen auf. Zum Beispiel passte Mercator in fern gelegenen Gebieten die Küstenverläufe an die Ergebnisse neuerer Entdeckungsreisen an. Bei der Kartierung von Orten, die noch unbekannt waren, wie dem Nordpolargebiet oder Australien, zeichnete Mercator die Umrisse nach Reiseberichten oder eigenen theoretischen Überlegungen, statt diese Flächen weiß zu lassen. Außerdem zeichnete er in der Nähe des geografischen Nordpols eine Magnetinsel ein. Auf dem vorherigen Globus von Gemma Frisius hatte es diese nicht gegeben, da Frisius davon ausging, dass die Kompassnadeln auf einen Punkt im Himmel zeigten. Mercator war davon offenbar nicht gänzlich überzeugt. Er vertrat den Standpunkt, dass der magnetische Pol auf der Erdoberfläche liege. Aus einem Brief Mercators an Antoine Perrenot de Granvelle wissen wir, dass Mercator fünf Jahre nach Erscheinen des Globus sogar die Koordinaten des magnetischen Nordpols auf der Erde berechnet hat. Trotz dieser Änderungen betrachtete Frisius den Globus von 1541 als ein Plagiat seines Werks.

Mercators Erdglobus
Mercators Erdglobus

Eine weitere Innovation gegenüber dem Frisius-Globus sollte für Mercators spätere Arbeit wegweisend werden: Er zeichnete sogenannte „Loxodromen“ ein, gekrümmte Linien, die über die Meere führten. Auch sie hatte es auf dem Frisius-Globus von 1536 noch nicht gegeben.

Fährt man mit einem Schiff immer gerade nach Westen oder Osten, bewegt man sich auf dem Globus auf einer unendlichen Kreisbahn. Folgt man aber einem anderen Kurs, z.B. Nordost, bewegt man sich auf einer Spirale, deren Ringe zum Pol hin immer enger werden. Der Grund dafür liegt darin, dass man seine eigene Position in Verhältnis zum Pol im Verlauf der Reise stetig verändert. Ein Abschnitt dieser Spirallinie, z.B. die Strecke von Lissabon zur Küste Kanadas, ist daher leicht gekrümmt. Der Kompasskurs entspricht somit nicht der kürzesten Verbindung zwischen zwei Punkten auf dem Globus. Diese Erkenntnis war zu Mercators Zeit relativ neu, da die Abweichung erst bei Langstrecken zur See, wie der Überfahrt nach Amerika, gravierend wurde.

Indem Mercator auf seinem Erdglobus Windrosen in die Ozeane einzeichnete, von denen aus jeweils 32 Loxodromen in 11,25°-Schritten ausstrahlten, machte er auf dieses Phänomen aufmerksam. Auf diese Weise wurde sein Globus zu einem guten Lehrmittel in den Universitäten. Für die Seefahrer war ein Globus mit beispielhaft voreingezeichneten Loxodromen allerdings weniger nützlich. Sie brauchten zur genauen Navigation auf See Ausschnitte der Erdoberfläche in größerem Maßstab. Das ließ sich nur in Form von Karten realisieren. Die Karten dieser Zeit hatten aber ein gravierendes Problem:

Projiziert man die Erdoberfläche von der Kugelgestalt auf eine flache Karte kommt es immer zu Verzerrungen. Die Seekarten dieser Zeit wendeten die Marinus-Projektion an, die anstandsgetreu, aber nicht winkelgetreu ist. Das bedeutet, hier hat man das gleiche Problem wie auf dem Globus: Eine gerade Linie entspricht nicht einem konstanten Kompasskurs. Erst mit seiner Weltkarte ad usum navigantium von 1569 sollte Mercator dieses Problem lösen.

Der Erdglobus von 1541 war jedenfalls ein großer Erfolg und verkaufte sich, später als Paar mit dem Himmelsglobus von 1551, für Jahrzehnte sehr gut. Dass Mercator die darauf gezeigte Darstellung der Welt nicht mehr an neuere Erkenntnisse anpasste, die die Entdecker auf ihren Seereisen inzwischen gemacht hatten, änderte nichts daran. Von Mercators Globenpaar existieren heute weltweit mindestens 22 Exemplare, eines davon zeigen wir in unserer Dauerausstellung „Mercator-Schatzkammer“.

 

Autor: Dr. Dennis Beckmann

Krümmung der Reiseroute bei konstantem Nordostkurs
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