Mercators Edition der Geographie des Claudius Ptolemäus von 1578

Claudius Ptolemäus war ein antiker Geograph, der im zweiten Jahrhundert n. Chr. in Ägypten lebte. In seiner Heimatstadt Alexandria zeichnete er Karten der gesamten ihm damals bekannten Welt. Diese schloss den Norden Afrikas, Europa mit Ausnahme Skandinaviens und den größten Teil Asiens ein. Seine Karten galten in der Antike und im Mittelalter als verlässliche Standardwerke. Erst die Entdeckungsfahrten des 16. Jahrhunderts haben dazu geführt, das seine Karten als überholt galten. Die großen Entdecker hatten den Geographen in Europa nicht nur das Wissen über einen zusätzlichen Doppelkontinent im Westen beschert, sondern auch neue Erkenntnisse über die Küsten Afrikas und Asiens.

Die Weltkarte des Ptolemäus aus Mercators Edition von 1578
Die Weltkarte des Ptolemäus aus Mercators Edition von 1578

Dennoch genoss Ptolemäus bei vielen Wissenschaftlern, insbesondere bei Gerhard Mercator, noch eine hohe Autorität, weil sich seine Karten über anderthalb Jahrtausende bewährt hatten. Wenn er einen Widerspruch zwischen Ptolemäus und Berichten von neuen Entdeckungen bemerkte, den er sich nicht erklären konnte, verließ er sich auf Ptolemäus. Mercators Wertschätzung für seinen antiken Kollegen erkennt man auch daran, dass er dessen Karten behutsam in Details korrigierte und im Jahr 1578 herausbrachte. Er gab seiner Edition den Namen Tabulae geographicae Cl. Ptolemaei ad mentem auctoris restitutis ac emendatis, was so viel bedeutet wie Geografische Karten nach Claudius Ptolemäus, gezeichnet im Geiste des Autors und ergänzt durch Gerhard Mercator. Obwohl Mercator sich mit seiner Weltkarte von 1569 schon weit vom Weltbild des Ptolemäus entfernt hatte und somit bewies, dass er es nicht mehr für aktuell hielt, maß er ihm doch weiterhin einen hohen Wert bei. An den Universitäten las man zu Mercators Zeit viele Schriften griechischer und römischer Autoren. Möglicherweise sollten die Tabulae den Studenten dabei helfen, die Perspektive der antiken Autoren einzunehmen.

Die Karten des Ptolemäus mit den neuen Erkenntnissen in Einklang zu bringen, war nicht immer leicht: Je weiter man sich in Ptolemäus‘ Weltbild vom Mittelmeerraum entfernt, desto stärker weicht die Form der Länder von der Realität ab. Seine Darstellung von Indien zum Beispiel zeigt ein etwa rautenförmiges Land, das im Norden von den Flüssen Indus und Ganges begrenzt wird und im Süden eine spitze Halbinsel hat. Südlich vor der Küste liegt eine große Insel. Die Grundzüge sind also korrekt, nur die Größenverhältnisse weichen stark von unseren heutigen Karten ab.

Indien (India intra Gangem) in Mercators Edition des Ptolemäus mit den Flüssen Indus und Ganges (blau hervorgehoben) und der Insel Sri Lanka (Taprobana) im Süden.
Indien (India intra Gangem) in Mercators Edition des Ptolemäus mit den Flüssen Indus und Ganges (blau hervorgehoben) und der Insel Sri Lanka (Taprobana) im Süden.

Auf seiner Weltkarte von 1569 zeigt Mercator den indischen Subkontinent mit einer weit ins Meer hinausragenden Spitze, wie es auch der Realität entspricht. Allerdings hält er Ptolemäus‘ Insel Taprobana nicht für Sri Lanka, sondern für das viel größere und weiter östlich liegende Sumatra. Daraus ergibt sich ein Folgefehler. Ptolemäus zufolge liegt die Mündung des Ganges weit östlich von Taprobana. Wenn Taprobana aber Sumatra sein sollte, kann der Ganges nicht in den Indischen Ozean münden, sondern ins Südchinesische Meer und damit in den Pazifik. In der Legende zur Weltkarte ad usum navigantium erklärt Mercator daher, dass der Ganges des Ptolemäus nicht mit dem indischen Fluss Guenge identisch sein kann, sondern dass es sich um den Cantan (Kantonfluss oder Perlfluss in China) weiter östlich handeln müsse.

Indien (India intra Gangem) in Mercators Weltkarte von 1569 mit dem Indus im Western, dem Guenge-Fluss in der Mitte und dem Cantan (Mercators Ganges) im Osten (blau hervorgehoben). Sri Lanka (gelber Kreis) ist im Gegensatz zu Ptolemäus‘ Karte richtigerweise kleiner und östlich der Südspitze Indiens wiedergegeben. Ptolemäus‘ Taprobana (grüner Kreis) wird als alternative Bezeichnung für Sumatra angeboten.
Indien (India intra Gangem) in Mercators Weltkarte von 1569 mit dem Indus im Western, dem Guenge-Fluss in der Mitte und dem Cantan (Mercators Ganges) im Osten (blau hervorgehoben). Sri Lanka (gelber Kreis) ist im Gegensatz zu Ptolemäus‘ Karte richtigerweise kleiner und östlich der Südspitze Indiens wiedergegeben. Ptolemäus‘ Taprobana (grüner Kreis) wird als alternative Bezeichnung für Sumatra angeboten.

Mercators Fehldeutung des Ganges führt dazu, dass er ganz Südostasien zu Indien (India intra Gangem) hinzu zählte, sodass für ein India extra Gangem, wie Ptolemäus das heutige Myanmar bezeichnete, gar kein Platz mehr war. Mercator hielt zeitlebens an seiner Überzeugung fest, sodass man den falschen Ganges auch noch im Atlas von 1595 findet.

 

Autor: Dr. Dennis Beckmann