Duisburger Polizisten im NS-Staat
Teil 1: Täterforschung im Arbeitskreis Antiziganismus des Zentrums für Erinnerungskultur
Seit 2015 beschäftigen wir uns im Zentrum für Erinnerungskultur mit der Verfolgung der Duisburger Sinti in der NS-Zeit. Dabei versuchen wir Lebenswege zu rekonstruieren und diese in Veranstaltungen und Publikationen öffentlich zu machen. Unser Fokus liegt dabei zum einen auf den Verfolgten, zum anderen aber auch auf den Täter*innen. Ihre Geschichten wollen wir dem Vergessen entreißen und die Erinnerung an das, was geschehen ist, bewahren.
Für die rassistische Verfolgung der Sinti und Roma vor Ort war die Kriminalpolizei zuständig. In der Weimarer Zeit und auch zuvor im Kaiserreich galten Polizisten zumeist als rechtschaffene und moralisch integre Personen, die dem Unrecht auf der Spur waren und Verbrecher*innen das Handwerk legten.[1] In der NS-Zeit wurden Polizisten zu Komplizen und Erfüllungsgehilfen des NS-Regimes – die Polizei war Herrschaftsinstrument des NS-Staates. So auch in Duisburg.
Bereits unmittelbar nach der Machtübernahme und vor allem nach der Gleichschaltung[2] der Polizei waren Duisburger Polizisten involviert in Gewaltverbrechen an Oppositionellen.[3] In einem Fall ist aber auch bekannt, dass ein Polizeihauptmeister Namens Kurt Nabakowski bei der öffentlichen Misshandlung des Vorstehers der ostjüdischen Gemeinde, Mordechai Jakob Bereisch, im März 1933 eingriff und die Bestrafung der beteiligten SS-Männer forderte.[4] Einen Monat später wurde das Berufsbeamtengesetz erlassen, vor dessen Hintergrund Franz Haarland aus der Polizei entlassen wurde, weil er mit der Jüdin Johanna Haarland verheiratet war.[5]
Während der Novemberpogrome 1938 sahen Duisburger Polizisten wie befohlen zu, als SA-Männer willkürliche Straftaten wie Brandstiftung und Sachbeschädigung verübten – die Täter wurden vorschriftgemäß nicht ermittelt.[6] Später waren Polizisten auch an der Deportation der jüdischen Minderheit beteiligt. Angehörige eines in Duisburg 1940 aufgestellten Polizeibataillons wurden auch zur Bewachung des Warschauer Ghettos und zu Massenerschießungen herangezogen.[7]
Sinti und Roma bereits vor dem NS-Staat im Visier der Polizei
Die Stigmatisierung der Sinti durch die Polizei lässt sich in Duisburg bis ins Jahr 1876 zurückdatieren. Die Minderheit wurde zunehmend zu einem Objekt polizeilicher und behördlicher Intervention. In der NS-Zeit spitzte sich die rassistisch begründete Stigmatisierung und Verfolgung schrittweise zu und radikalisierte sich bis zum Völkermord. Auf institutioneller Ebene wurde die Verfolgung vom Reichskriminalpolizeiamt (bzw. Reichssicherheitshauptamt) und der rassenhygienischen und bevölkerungsbiologischen Forschungsstelle des Reichsgesundheitsamts getragen und vorangetrieben. Die lokalen Kriminalpolizeistellen setzten die Maßnahmen vor Ort um.
Bei der Duisburger Polizei existierte seit 1941 mit der „KI (Z)“ (Kriminalinspektion „Zigeuner“) eine eigene Dienstelle zur Bearbeitung von „Zigeunerfragen“.[8] Unser ehemaliges Arbeitskreis-Mitglied Dr. Nicolás Brochhagen hat den Leiter dieser Dienststelle, Kriminalobersekretär Wilhelm Helten (1891–1968), beleuchtet und konnte bestätigen, dass Helten mit „besonderem Diensteifer“ die Erfassung und Verfolgung der Duisburger Sinti vorantrieb. Es ist sogar belegt, dass er 1944 die beiden Kleinkinder von Christine Lehmann (1920–1944) und Karl Hessel persönlich mit dem Zug nach Auschwitz brachte. Von den Deportierten kehrte niemand zurück. Insgesamt wurden von 1939 bis 1944 mindestens 143 Menschen, die man als Angehörige der ethnischen Minderheit ausmachte, aus dem Duisburger Stadtgebiet deportiert. Die genaue Zahl der Todesopfer ist bis heute ungeklärt; mindestens die Hälfte aller aus Duisburg deportierten Sinti ist aber wahrscheinlich ums Leben gekommen.
Laufende Recherchen zu Duisburger Polizisten
In den kommenden Beiträgen widmen wir uns weiteren Polizeimitarbeitern und stellen unsere aktuellen Recherchen vor. Uns geht es darum, aufzuzeigen, welche Rolle die Polizei bei der Umsetzung der völkisch-rassistischen Politik spielte und auf welche Weise Menschen aus Duisburg in NS-Verbrechen involviert waren. Die Auseinandersetzung mit Träger*innen des staatlichen Gewaltmonopols – mit Gehilf*innen und Täter*innen oder mit Personen, die sich nicht so einfach in ein Täter-Opfer-Schema einreihen lassen, ist wichtig, um die Gewaltverbrechen und das Funktionieren des NS-Staates besser verstehen zu können. Richtet man den Blick nur auf die NS-Opfer, die zurecht gewürdigt und nicht vergessen werden sollten, dann geraten die Täterinnen und Täter aus dem Fokus. Dabei reicht die Spannweite von ideologisch überzeugten Nationalsozialist*innen, über Opportunist*innen oder Personen, die nur Minimaleinsatz bei der Durchsetzung der NS-Politik zeigten, bis hin zu Personen, die Befehle verweigerten oder verfolgten Menschen halfen.
Menschen, die Träger*innen des Gewaltmonopols sind, ausgestattet mit Waffen und dem Recht, in besonderen Situationen Zwangsmittel anzuwenden, tragen auch in der Gegenwart eine große gesellschaftliche Verantwortung. Aus diesem Grund ist es uns wichtig, gemeinsam und im Austausch mit der Polizei an diesem Themenkomplex zu arbeiten.
Text: Robin Richterich M. A., Stand: November 2022
Illustration: Jonas Heidebrecht
[1] Laut Christian Knatz genossen Polizisten in der Öffentlichkeit ein hohes Ansehen. Siehe: Knatz, C. (2003): Polizei in der Weimarer Republik – Orientierungssuche zwischen Tradition und Modernisierung. In: Lange, Hans-Jürgen (Hg.): Die Polizei der Gesellschaft. Zur Soziologie der Inneren Sicherheit, S. 37–55, hier S. 41.
[2] Z.B. musste der sozialdemokratische Duisburger Polizeipräsident Meyer am 15. Februar in den Ruhestand gehen. Vgl. S. 29 Nationalsozialismus in Duisburg.
[3] Es gibt aber auch Hinweise, dass vereinzelte Duisburger Polizisten in der Frühphase des NS-Diktatur bei Verhören von sozialdemokratische Regimegegner mal ein Auge zu drückten. Vgl. Bludau, Kuno: Gestapo, Geheim! Widerstand und Verfolgung in Duisburg 1933–1945. (Duisburger Forschungen Bd. 16), Duisburg 1973, S. 51f.
[4] Heid, Ludger J.: Ostjuden. Bürger, Kleinbürger, Proletarier. Geschichte einer jüdischen Minderheit im Ruhrgebiet. Essen 2011, S. 353–355.
[5] Vgl. Roden, Günther von: Geschichte der Duisburger Juden, Bd. II, S. 1111.
[6] Heun, Robin: Der Novemberpogrom in Duisburg. Hrsg. vom Duisburger Institut für Sprach- u. Sozialforschung, 2011 (Online-Publikation: http://www.diss-duisburg.de).
[7] Z.B. Angehörige des Polizeibataillons 308, welches 1940 in Duisburg als Polizei-Ausbildungsbataillon Duisburg zusammengestellt wurde. Vgl. Curilla, Wolfgang: Der Judenmord in Polen und die deutsche Ordnungspolizei 1939–1945. Paderborn/München/Wien, Schöningh 2011, S. 557-565, hier S. 561; Curilla, Wolfgang: Die deutsche Ordnungspolizei und der Holocaust im Baltikum und in Weißrussland 1941-1944, 2006, S. 693-695.
[8] Brochhagen, Nicolás: „Fachwissen und Diensteifer“ bei der „Bekämpfung des Zigeunerunwesens“. Kriminalpolizist Wilhelm Helten als Akteur der Verfolgung Duisburger Sinti während der Zeit des Nationalsozialismus. In: Duisburger Forschungen Band 63. Essen 2020, S. 245-262.