Rum – Zwischen Mythos und kolonialer Realität
von Harald Küst
Rum ist ein Getränk, an das sich viele Assoziationen knüpfen. In der Werbung, im Kino und in der Popkultur wird die Spirituose romantisiert und verklärt.
Doch diese Klischees verdecken die historische Realität der Entstehung und Verbreitung des Zuckerrohrschnapses.
Rum und die Karibik
Das gängigste Bild von Rum ist eng mit der Karibik verknüpft. Palmen, weiße Strände, Reggae-Musik und farbenfrohe Cocktails dominieren die touristische Wahrnehmung der Region – und der Rum scheint perfekt in dieses Paradies zu passen. In Hotelbars wird er als lokales Kulturgut vermarktet, Rumverkostungen gehören zu den touristischen Höhepunkten. Doch diese Darstellung blendet aus, dass Rum seine Wurzeln in einem brutalen kolonialen System hat. Die karibischen Inseln waren Zentren der Zuckerrohrproduktion, betrieben von versklavten Afrikanern. Der Rum entstand nicht als Produkt karibischer Lebensfreude, sondern als Nebenprodukt einer menschenverachtenden Plantagenwirtschaft.
Rum, Piraten und Seefahrer
Ein weiteres weit verbreitetes Klischee ist das des trinkenden Piraten oder raubeinigen Seemanns, der mit einer Flasche Rum in der Hand das nächste Abenteuer sucht. Filme wie “Fluch der Karibik” oder Romane wie “Die Schatzinsel” haben diese Vorstellung tief in der Popkultur verankert. Er gehörte zum Alltag der Seeleute. In der britischen Royal Navy war die tägliche Rumration bis ins 20. Jahrhundert hinein üblich. Auch Piraten nutzten Rum als Zahlungsmittel, zur Belohnung oder als Teil ihrer Beute. Doch der „Treibstoff“ der Seefahrer war kein harmloses Vergnügen: Alkoholismus, Gewalt und soziale Verrohung gehörten zur Kehrseite des exzessiven Konsums.
Rum und das Abenteuer
Rum wird oft auch als Getränk der Entdecker, Abenteurer und Freibeuter inszeniert. In Abenteuerromanen und Werbefilmen symbolisiert er Mut, Freiheit und das Verlassen gesellschaftlicher Normen. Er ist das Getränk der Rebellen, der Grenzgänger und der Männer (auch Frauen wie Mary Read oder Anne Bonny) – und verleiht ihm ein fast mythisches Flair.
Die dunkle Seite: Sklaverei und Dreieckshandel – der Mensch als Ware
Hinter der romantischen Fassade des Rums verbirgt sich eine düstere Realität. Rum war ein zentraler Bestandteil des transatlantischen Dreieckshandels: Europäische Waren wurden nach Afrika exportiert, dort gegen Sklaven eingetauscht, die wiederum in die Karibik und nach Amerika gebracht wurden. Versklavte Menschen als Tauschware. In Amerika arbeiteten sie unter grausamen Bedingungen auf Zuckerrohrplantagen – der Grundstoff für die Rumherstellung.
Rum als Währung
Auch in der Karibik und in Nordamerika wurde Rum als Zahlungsmittel verwendet: Seeleute, Söldner, Plantagenarbeiter oder Piraten wurden teilweise in Rum entlohnt oder mit Rum belohnt.
In der britischen Royal Navy gehörte die tägliche Rumration („Tot“) bis ins Jahr 1970 zur Versorgung der Mannschaft. Auf Piratenschiffen war Rum nicht nur Symbol der Ungebundenheit, sondern auch eine Art inoffizielle Währung.
Rum heute: Zwischen Klischee und Realität
Heute ist Rum ein globales Genussmittel. Es gibt edle Sorten für Sammler, Rum-Museen in der Karibik und weltweit boomende Cocktailbars, in denen Rum als exotisches Lifestyleprodukt gefeiert wird. Dabei werden die kolonialen Hintergründe selten thematisiert. Auch in der karibischen Erinnerungskultur ist der Umgang mit dem Erbe der Sklaverei oft ambivalent – zwischen Stolz auf die kulturelle Eigenständigkeit und der Verdrängung der Gewaltgeschichte. Es stellt sich die Frage: Wie gehen wir heute mit der Vergangenheit des Rums um? Können Genuss und kritisches Bewusstsein koexistieren?
Zum Weiterlesen
Geschichte 5/2018, Piraten – Von Drake bis Blackbeard
Ausstellungshinweise
Wer mehr über den Atlantikhandel, die koloniale Sklavereigeschichte oder kuriose Währungsformen erfahren möchte, findet in zwei aktuellen Ausstellungen unseres Hauses weitere Informationen:
ÜBERSEeHEN. Auf (post)kolonialer Spurensuche in Duisburg
Cash! Eine Geschichte des Geldes
Beitragsbild: Tim Reckmann