Ab dem 12. März 2023 führt eine neue Sonderausstellung in die Welt der antiken Mysterienkulte. Was aber war so mysteriös an ihnen?

Abb. 1: Die griechischen Tempel, die das Bild der antiken Religion prägen, waren Teil des Staatskults. Die Mysterienkulte hingegen waren teils in privater, teils in staatlicher Hand. Tempel des Schmiedegottes Hephaistos, Athen. Foto: Andrea Gropp/KSM.
Zunächst ist es wichtig, sich bewusst zu machen, dass die Menschen der Antike einen anderen Bezug zu Religion hatten als wir es mehrheitlich gewohnt sind. Üblicherweise verbindet man Religion mit dem „Glauben“ an (mindestens) einen Gott und an bestimmte Lehren. Zudem ist Religion für viele von uns ein mehr oder weniger klar bestimmter Bereich des Lebens. Im antiken Griechenland aber gab es nicht einmal einen Begriff für „Religion“ – zwar waren Worte für heilige Dienste bekannt, doch waren diese Begriffe nicht allein dem kultischen Bereich vorbehalten, sondern konnten auch im ‚Profanen‘ gebraucht werden. Dies zeigt, wie allgegenwärtig Religion das alltägliche Leben durchwob. Und im Bewusstsein der antiken Römer äußerte sich Religion allein im Tun – es kam auf die korrekte Ausführung kultischer Handlungen an, nicht auf einen wie auch immer gearteten „Glauben“.
In der antiken Welt gab es verschiedene Formen von Religiosität, die parallel bestehen konnten. So stellte der Staatskult bestimmte Gottheiten und Rituale in den Vordergrund, wohingegen der oder die Einzelne sich auch ganz anderen Göttern verbunden fühlen konnte, ohne dass dies als Widerspruch wahrgenommen worden wäre. In diesen Bereich der individuellen Religiosität gehören die Mysterienkulte.

Abb. 2: Stromkasten in Eleusis, der Persephone und Hades im Wagen zeigt. Der Titel lautet „Die Pferde der Unterwelt“. Foto: Andrea Gropp/KSM.
Der Begriff „Mysterien“ geht auf den griechischen Begriff mū́ō (μύω) zurück, der „sich schließen“ oder „verschließen“ bedeutet und vor allem auf Mund und Augen bezogen wird – die Augen sind geschlossen, nachdem sie gesehen haben, was den Blicken normalerweise nicht zugänglich ist; der Mund bleibt geschlossen und bewahrt das Geheimnis. Das Ziel war also die Bewahrung der Geheimnisse, die wiederum wesentlich zur Attraktivität der Kulte beigetragen haben dürften.
Dieses Gebot, Stillschweigen über die Inhalte der Kulte zu bewahren, ist ein wesentliches Element der Mysterienreligionen. Daher sind bis heute bei allen diesen Kulten mehr oder weniger viele Fragen offen. Allerdings haben sich nicht immer alle Menschen an das Schweigegebot gehalten, so dass einige Dinge heute durchaus bekannt sind.
Am besten informiert sind wir wohl über den Kult von Eleusis, in dessen Mittelpunkt die Vegetationsgöttin Demeter, ihre Tochter Persephone und der Unterweltsgott Hades standen. Hades hatte Persephone geraubt, um sie zur Frau zu nehmen. Demeter suchte ihre Tochter überall und war schließlich so verzweifelt, dass sie den Pflanzen und Bäumen verbot, zu wachsen und Früchte hervorzubringen. Auch die Vermehrung der Tiere unterband sie. Bald starben die Menschen, da es keine Nahrung mehr gab, und die Götter mussten auf die Opfer verzichten. So unter Druck gesetzt, verhandelte Göttervater Zeus mit Hades über die Freilassung der Persephone, bis dieser schließlich zustimmte. Zuvor jedoch aß Persephone einige Granatapfelkerne. Wer aber in der Unterwelt etwas isst, kann fortan nicht mehr dauerhaft in der Oberwelt leben. So ergab sich, dass Persephone jeweils acht Monate lang bei ihrer Mutter sein durfte, aber dann für vier Monate zu ihrem Gemahl in die Unterwelt gehen musste. In jener Zeit, die wir Winter nennen, stellt die Natur wegen Demeters Trauer ihr Wachstum solange ein, bis Persephone im Frühling wieder bei ihr ist.

Abb. 3: Kompositplan von Eleusis mit verschiedenen Bauphasen. Nach: C. H. Smith 1989/J. Travlos 1973/1983.
Die Großen Mysterien, der zentrale Ritus in Eleusis, fand stets im Monat Boedromion statt. Dieser entspricht in unserem Kalender September/Oktober. Die Handlungen der einzelnen Tage waren genau festgelegt und hatten alle einen Bezug zum Mythos und den in ihm auftretenden Göttern:
Am 14. Boedromion wurden die heiligen Objekte von Eleusis zum Eleusinion, einem Tempel am Fuße der Athener Akropolis, gebracht. Der Hohepriester hieß Hierophant, was „der, welcher das Heilige erscheinen lässt“ bedeutet. Dieser erklärte am 15. Boedromion den offiziellen Beginn der heiligen Riten und vollzog ein Opfer. Am 16. wuschen sich die Einzuweihenden im Meer. Am 17. wurden im Eleusinion Ferkel geopfert. Am Folgetag fasteten die Einzuweihenden, möglicherweise in Erinnerung daran, dass auch die trauernde Demeter gefastet haben soll.

Abb. 4: Zeichnerische Rekonstruktion vom Inneren des Telesterions. http://www.info.archaeolink.org/Eleusis/Site/content/IMG_1112.html (abgerufen am 15.9.2022).
Am 19. oder 20. begann der Zug der Initianden. Er nahm seinen Anfang am Athener Friedhof am Kerameikos und führte auf der etwa 20 Kilometer langen „Heiligen Straße“ bis nach Eleusis. Angeführt wurde die Gruppe von Priestern oder Priesterinnen, welche die heiligen Gegenstände trugen. In Eleusis waren zwei Toranlagen, die Propyläen, zu durchqueren, um in den heiligen Bezirk zu gelangen. Hier befand sich unter anderem das Ploutoneion, ein Heiligtum des Hades, in dem man einen Zugang zur Unterwelt vermutete.
In dieser oder der folgenden Nacht fand in der Weihehalle, dem Telesterion, der Kern der Mysterien statt. Ihn zu enthüllen war bei Todesstrafe verboten. Am Folgetag endeten die Feierlichkeiten mit einem Trankopfer und der Heimkehr der Eingeweihten, die nun als epoptai, „die geschaut haben“, bezeichnet wurden. Man sagt, dass sie fortan mit mehr Freude leben – und mit Zuversicht sterben konnten.
Wer wissen möchte, was ihnen (wahrscheinlich) im Telesterion enthüllt wurde, ist herzlich dazu eingeladen, die „Göttlichen Geheimnisse“ ab dem 12. März bei uns im Museum selbst zu entdecken…
Dr. Andrea Gropp