Der lange Schatten antiker Objekte – Was wissen wir über unsere Exponate?
Teil 1/6: Antikenhandel
Die Bedeutung des Fundortes
Archäologische Funde tragen oft Namen, die einem bestimmten Schema folgen. Bekannte Beispiele sind der Gundestrup-Kessel, die Venus von Willendorf oder der Helm von Sutton Hoo. Handelt es sich um die Überreste eines Menschen finden wir Namen wie Egtved-Mädchen oder Cheddar Man. Sie alle sind nach ihrem Fundort benannt — auch wenn man im letzten Fall eher an den Käse denkt, den man in dieser Stadt im Südwesten Englands ebenfalls finden kann. Die Eismumie Ötzi hat ihren Namen ebenfalls nach ihrem Fundort, den Ötztaler Alpen erhalten. Diese Namen klingen oft nicht sehr schillernd. Meistens handelt es sich um Orte, von denen man nie gehört hätte, wenn Archäologen dort keinen Sensationsfund gemacht hätten. Die Benennungsweise hat aber auch einen klaren Vorteil: Sie unterstreicht die Einzigartigkeit der Funde und betont ihre Zugehörigkeit zum jeweiligen Fundkontext. Heutzutage legen Archäologen nämlich oft mehr Wert auf den Fundkontext als auf das gefundene Objekt selbst. Aus der genauen Lage eines Objektes im Boden im Verhältnis zu anderen Artefakten, zu Krümeln von Holzkohle oder längst wieder verschütteten Gruben, können sie wertvolle Informationen über die Lebensweise der Menschen gewinnen, denen das Objekt einst gehört hat. Wird etwas ausgegraben, ohne dass der Fundkontext dabei analysiert und dokumentiert wird, gehen diese Informationen für immer verloren. Bei Massenprodukten wie antiken Münzen zum Beispiel können Experten durch den Vergleich mit ähnlichen Stücken oft noch das ungefähre Alter und den ungefähren Ort der Entstehung angeben. Dabei wenden sie aber nur das an, was sie ohnehin schon wissen und gewinnen keine neuen Erkenntnisse.
Wenn Archäologen heute einen Fund machen oder von anderen auf Zufallsfunde, zum Beispiel bei Bauarbeiten hingewiesen werden, dann gehören die Funde dem Staat, bzw. dem Bundesland. Diese Regelung nennt man Schatzregal. Sie gilt heute in den meisten Staaten und in Deutschland in jedem Bundesland außer Bayern. Solche Funde werden von den Archäologen sicher eingelagert und über Jahre ausgewertet. Besondere Stücke gehen nach der Auswertung üblicherweise an ein öffentliches Museum desselben Staates oder Bundeslands. Auf den Kunstmarkt gelangen legal gemachte Funde üblicherweise nicht. Das war allerdings nicht immer so. Seit der Renaissance gibt es Sammler, die hobbymäßig antike Objekte für ihren Privatbesitz ausgraben oder ausgraben lassen. Bevor sich die Archäologie im 19. Jahrhundert zu einer Wissenschaft mit festgelegten Arbeitsmethoden entwickelte, war es dabei üblich, dass man Schmuck, Waffen und andere Grabbeigaben aus einem Grab herausholte, ohne dabei genau zu dokumentieren, was wo gelegen hatte. Alles, was nicht wertvoll oder schön war, wurde missachtet. Es ging darum, Schätze auszugraben, die man dann in einer Sammlung präsentieren konnte. Für diese Stücke ist der Fundort also in der Regel unbekannt. Die meisten dieser frühen Privatsammlungen sind inzwischen in den Besitz von Museen übergegangen. Nur wenige sind im Kreis privater Sammler über Jahrhunderte vererbt und verkauft worden. Wenn man heute Gegenstände aus der Antike auf dem Kunst- und Antiquitätenmarkt sieht, für die kein genauer Fundort bekannt ist, erwecken die Verkäufer gerne den Eindruck, es handle sich um Stücke aus genau solchen alten Sammlungen. Der Vorbesitzer wird aber üblicherweise nicht genannt. Stattdessen liest man Angaben wie „aus Schweizer Privatsammlung“ oder „seit Jahrzehnten in deutschem Privatbesitz“. Tatsächlich ist der Grund für den fehlenden Fundort in der Regel ein anderer: Entweder es handelt sich um Objekte aus Raubgrabungen oder um Fälschungen. Im ersten Fall verheimlichen die Raubgräber den Ort ihrer illegalen Grabung, um nicht überführt zu werden. Im zweiten Fall gibt es keinen Grabungsort. In bestimmten Fällen gibt es auch Fälscherwerkstätten nahe der illegalen Grabungsstätten. Dort werden die Fälschungen aus originalen Materialien oder mit Bruchstücken von Originalen hergestellt. Bei Stücken aus Keramik oder Metall ist es dann sehr schwer, eine Fälschung zu erkennen.
Das internationale Geschäft mit Antiken
Solche geraubten und gefälschten Objekte gelangen aus ihren Herkunftsländern über Schmuggler auf den internationalen Kunstmarkt. Besonders stark sind die Länder am Mittelmeer betroffen, wo es mehr antike Stätten gibt als die Polizei überwachen kann. Seit Jahrzehnten werden überdies antike Funde aus Mexiko, Peru und Südostasien geraubt. Auch in Deutschland sind Raubgrabungen inzwischen ein großes Problem. Die berühmte Himmelsscheibe von Nebra wurde 1999 von Raubgräbern in Sachsen-Anhalt ausgegraben. Nur durch die erfolgreiche Kooperation von Polizei und Landesarchäologie konnte der Fundort nachträglich ermittelt und teilweise analysiert werden. So erhielt die Himmelsscheibe ihren heutigen Namen mit Fundort.
Im internationalen Schmugglergeschäft waren lange Zeit die Schweiz und Belgien wichtige Drehscheiben, heute spielt Saudi-Arabien eine große Rolle. Die Käufer sehen in den Stücken keine wissenschaftlichen Quellen, denen man Informationen über die Vergangenheit entlocken kann. Für manche ist es Kunst, für andere nur ein Investment. Bis zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben auch Museen auf dem Kunstmarkt große Mengen von Antiken erworben. Bei den großen Häusern in den USA wie dem Getty Museum in Malibu und dem Metropolitan Museum in New York ist das heute noch üblich. Viele weitere Museen erben Sammlungen, die die Sammler Jahrzehnte zuvor mit Objekten aus dem Kunstmarkt aufgebaut haben. So kommt es vor, dass man in Museumsausstellungen archäologische Objekte oder Artefakte kolonialisierter Völker mit sehr groben Angaben wie „Perserreich“ oder „Westafrika“ oder auch ganz ohne Angabe sehen kann. In diesen Fällen spricht man von Objekten mit einer ungeklärten Provenienz, also einer ungeklärten Herkunft. Da die Herkunft dieser Objekte illegal sein kann, stellen sie für Museen ein Problem dar. In den meisten Fällen sind Sammler und Museen in Deutschland zwar nicht strafbar, da ein Kauf bei einer Auktion immer als „gutgläubig“ gilt und somit legal ist. In der internationalen Kooperation können aber dennoch Nachteile entstehen. Wenn ein Museum in Deutschland zum Beispiel eine Sonderausstellung über die griechische Antike zeigen will, und dazu Leihgaben von griechischen Museen anfragt, erhält sie diese nur dann, wenn sich unter den übrigen gezeigten Objekten keine Stücke befinden, die möglicherweise aus Raubgrabungen in Griechenland stammen und illegal außer Landes geschafft wurden. Um ihre Vertrauenswürdigkeit unter Beweis zu stellen, haben sich Museen dazu verpflichtet, die Provenienz ihrer Objekte zu erforschen und nachweisbar unrechtmäßig außer Landes geschaffte Stücke gegebenenfalls an die Regierung des Herkunftslandes abzugeben.
Provenienzforschung an Museen
Über das Thema Provenienzforschung ist in den Medien vor allem dann zu lesen, wenn es um sogenanntes „NS-verfolgungsbedingt entzogenes Gut“ oder um Objekte aus „kolonialen Kontexten“ geht. Auch wenn das Thema Raubgrabungen bei Weitem mehr Objekte und mehr Museen betreffen und die Museumslandschaft noch für Jahrzehnte beschäftigen dürfte, sollen hier zum besseren Verständnis der Problematik zunächst die beiden anderen großen Bereiche der Provenienzforschung vorgestellt werden.
Während der Zeit des Nationalsozialismus hat die NSDAP-Regierung Juden dazu gezwungen, ihren Besitz zu verkaufen und in Ghettos umzuziehen – zuerst im Deutschen Reich, während des Zweiten Weltkrieges auch in den besetzten Ländern Europas. Unter dem Hausrat, der nun massenhaft zu niedrigen Preisen auf dem Markt war, befanden sich auch Wertgegenstände wie Kunst und Möbel. Einiges davon kaufte die Regierung günstig an, zum Beispiel für eigene Museen. Privatpersonen erwarben andere Stücke für ihre Sammlungen und vermachten diese später Museen in Deutschland. Wenn nachgewiesen werden kann, dass der Verkauf in der NS-Zeit unter Zwang stattfand, gelten nach heutiger Rechtsprechung die Erben des ursprünglichen Besitzers als rechtmäßige Eigentümer. In solchen Fällen muss ein Museum das entsprechende Objekt zurückgeben.
Ebenfalls betroffen von solchen Rückgabe- oder Restitutionsverhandlungen sind Objekte aus Afrika, Asien, Australien und den Amerikas, die aus einer Zeit stammen, in der das betreffende Land von einer europäischen Macht als Kolonie beherrscht wurde. Für Deutschland betrifft das die relativ kurze Zeit von etwa 1890 bis 1918 und wenige Länder in Afrika und im Süd-Pazifik. In Großbritannien und Frankreich setzt die Kolonialzeit dagegen früher an und endet erst gegen 1960, in Spanien beginnt sie schon um 1500. Die allermeisten Stücke in den ethnologischen Sammlungen in Deutschland stammen aus der Zeit vor 1918 aus deutschen und anderen europäischen Kolonien. Dabei kann es sich um diplomatische Geschenke von einheimischen Würdenträgern an Kolonialbeamte oder legal erworbene Souvenirs handeln. Es können aber ebenso Gegenstände sein, die Mitglieder einer Forschungsexpedition ohne Zustimmung der lokalen Bevölkerung mitgenommen haben oder Dinge, die Soldaten der Kolonialmacht als Kriegsbeute erobert haben. Unter den Dingen, die als Forschungsobjekte oder Kriegstrophäen nach Deutschland gelangt sind, befinden sich auch menschliche Überreste von Angehörigen der kolonialisierten Bevölkerung. In dieser Zeit gab es noch keine internationalen Gesetze, die die Rechte der kolonialisierten Menschen geschützt hätten. Nur wenn ein bilateraler Vertrag zwischen der Kolonialverwaltung und einem Vertreter der Kolonialisierten gebrochen wurde, war die Aneignung der Objekte im damaligen juristischen Sinne illegal. Aus ethischen Gründen bemühen sich Museen in Deutschland heute dennoch um eine Rückgabe, sofern die Herkunft eines Objekts geklärt werden kann.
Nach aktuellem Kenntnisstand gibt es im Bestand des Kultur- und Stadthistorischen Museums Duisburg weder Objekte mit NS-verfolgungsbedingtem Entzug noch Objekte aus kolonialen Kontexten. Unter den Objekten in der Obhut des KSM Duisburg gibt es allerdings Objekte, für die eine Herkunft aus Raubgrabungen nicht ausgeschlossen werden kann. Sie sind vor allem Teil der Sammlung Köhler- Osbahr. Die Sammlung hat der 2001 verstorbene Industrielle und CDU-Politiker Dr. Herbert Köhler in den 1970er- bis 2000er Jahren mit Ankäufen vom Kunstmarkt aufgebaut und der Köhler-Osbahr-Stiftung überschrieben, in deren Besitz sich diese Stücke heute befinden. Seit 1990 befindet sich die Sammlung als Dauerleihgabe im Kultur- und Stadthistorischen Museum. Sie werden in einer international ausgerichteten Dauerausstellung sowie zahlreichen thematisch orientierten Sonderausstellungen präsentiert. In den folgenden Beiträgen werde ich mich ausgewählten Stücken aus vier verschiedenen Ländern widmen, an denen beispielhaft gezeigt werden soll, wann und auf welchem Wege die Stücke vermutlich angekauft wurden und welche Gesetze zu dieser Zeit in den Herkunftsländern bestanden. Des Weiteren werde ich Hintergründe beleuchten, die erklären sollen, wie Angebot und Nachfrage auf dem Kunst- und Antikenmarkt entstehen können.
Vorweg muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass es in aller Regel schwer nachzuweisen ist, dass ein bestimmtes Objekt aus einer Raubgrabung stammt, da die dazu nötigen Informationen (Jahr und Ort der Grabung, wer war der Ausgräber?) dem Museum nicht vorliegen. Üblicherweise waren sie auch schon dem Sammler unbekannt, da sie schon dem Kunsthändler nicht vorlagen. Die Schmuggler und Zwischenhändler, die gegebenenfalls die genaue Herkunft kannten, haben sich in Schweigen gehüllt oder eine legale Herkunft für den Weiterverkauf erfunden. Der Kunsthandel in Deutschland war lange nicht verpflichtet, sich eine legale Provenienz beweisen zu lassen und hat daher meist nicht genauer nachgefragt. Nach deutschem Recht konnte er die Stücke „gutgläubig“ und somit rechtmäßig erwerben. Überdies ist eine illegale Ausfuhr aus dem Herkunftsland nach 30 Jahren verjährt. Mit dem neuen Gesetz zum Schutz von Kulturgut von 2016 muss ein Importeur von Kulturgut nun beim Weiterverkauf in Deutschland nachweisen, dass er eine Ausfuhrgenehmigung des Herkunftslandes hatte. Der Käufer muss diesen Herkunftsnachweis dokumentieren. Er ist jedoch nicht verpflichtet, diesen Nachweis offen zu legen, wenn er das Stück in Deutschland weiterverkauft. Das neue Gesetz enthält verschiedene Ausnahmen und Schlupflöcher, die Hehler sich zu Nutze machen können. Darüber hinaus kann man eine Ausfuhrgenehmigung natürlich auch fälschen. Das neue Gesetz konnte jedenfalls nicht verhindern, dass Jahr für Jahr neue Antiken aus Raubgrabungen auf dem deutschen Kunstmarkt angeboten werden.
Dr. Dennis Beckmann