Magazinfunde: Die versteckte Filmrolle
Mit verstaubten und fast vergessenen Exponaten gefüllte Museumsmagazine, in denen sich dann ganz unerwartet die größten Schätze finden, sind Topos diverser Bücher und Filme. Und ein bisschen stimmt dieses Klischee sogar, denn viele der Stücke sind wirklich wahre Schätze: Es sind Fenster in die Vergangenheit, durch die man einen manchmal unerwarteten Blick werfen kann.
Als der Restaurator des Museums, Till Krieg, beim Verräumen der Magazinbestände einen Westerwälder Steinzeugkrug von 1660 in die Hände nahm, erlebte er eine Überraschung, als er es darin klappern hörte. Beim Umdrehen fiel ein silberfarbenes Filmdöschen mit der handschriftlichen Bemerkung „Inder-Abend 1958“ heraus. Darin befanden sich drei Schnipsel einer Fotonegativrolle.
Nach der Umkehrung ins Positiv zeigten sich 14 Bilder eines offenbar recht fröhlichen Abends. Inderinnen und Inder, zu Gast in Duisburg, aßen, tranken und tanzten gemeinsam mit einheimischen Gastgeberinnen und Gastgebern.
Einige Details auf den Fotos sind von besonderem Interesse: So hängt eine auf 1733 datierende Karte Südindiens und Ceylons von Homann Erben an der Wand, offenbar extra zu Ehren der ausländischen Gäste aufgehängt.
Außerdem sind ein Eichenschrank, ein hoher Sekretär sowie ein Gemälde vom Innenhafen zu erkennen. Der Eichenschrank steht heute in der Dauerausstellung des Kultur- und Stadthistorischen Museums, die anderen Stücke warten derzeit in den Magazinen des Hauses auf ihre nächste Ausstellung.
Eines der Fotos zeigt einen auf seinem Bett liegenden Mann, der das am 29.9.1958 erschienene „Time Magazine“ in Händen hält, so dass anzunehmen ist, dass der Abend wohl Ende September oder im Oktober stattfand. Die Beziehungen zwischen Deutschland und Indien waren Ende der 50er Jahre von gegenseitiger Annäherung geprägt, vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet. Dem Ruhrgebiet kam in diesem Zusammenhang besondere Bedeutung zu, denn seit 1954 war für Nordost-Indien das Stahlwerk Rourkela in Planung. Dabei handelte es sich um eines der größten deutschen Entwicklungshilfeprojekte, das durch die Hilfe 35 verschiedener deutscher Unternehmen, darunter die Demag (Duisburg), Krupp (Essen), Dr. C. Otto & Comp. (Bochum) sowie Friedrich Siemens GmbH (Düsseldorf), entstand. 1956 begann der Bau des Stahlwerks, das – nach einigen Erweiterungen – mit 35.000 Mitarbeitern bis heute ein wichtiger Faktor der indischen Industrie ist. Ab dem 16. März 1954 existierte in Duisburg die „Indien-Gemeinschaft Krupp-Demag GmbH“, welche die indische Regierung bei der Planung und Plandurchführung technisch beriet. Die „Aktion Rourkela“ der Demag galt als Beispiel für besonders gelungene Öffentlichkeitsarbeit in der Wirtschaft; die Demag und ihr PR-Chef erhielten 1961 sogar den „Silver Anvil Award“ der „Public Relations Society of America“.
Gut möglich, dass die indischen Gäste im Rahmen einer Wirtschaftsdelegation nach Duisburg gereist waren, um sich die hiesigen Stahlwerke anzuschauen oder mit Politikern und Wirtschaftsführern ins Gespräch zu kommen. Leider hat sich der Besuch nicht in der Presse niedergeschlagen, die aber für den 4. Oktober 1958 eine Reise des damaligen Vizekanzlers Ludwig Erhard nach Indien vermeldete, was die engen Beziehungen zwischen den beiden Ländern verdeutlicht.
Unklar ist die Identität der auf den Aufnahmen zu sehenden Personen. Ungewiss ist auch, ob der Abend in der ehemaligen Böninger-Villa „Haus Rhein“ (auch „Haus Duisburg“) auf der Düsseldorfer Straße stattfand, die damals als Standort für das Niederrheinische Museum (heute Kultur- und Stadthistorisches Museum) vorgesehen war.
Als Kuriosum stellt sich vor allem dar, dass auch der Krug, in dem sich das Filmdöschen befand, auf einem der Bilder zu erkennen ist; an diesem besonderen Abend 1958 stand er auf dem Eichenschrank. Zufall? Offenbar fand einer der Teilnehmer diesen Ort passend, um den Film – ja, was? Zu verstecken? Ihn der Nachwelt zu hinterlassen? Doch die Nachwelt sollte wohl gar nicht alles sehen, was an diesem Abend vorgefallen ist, denn es fehlen einige Bilder der Filmrolle…
Andrea Gropp, Till Krieg