Der Wiederaufstieg der Mannesmann AG nach der Kapitulation am 8. Mai 1945 ist eng mit dem Duisburger NS-Industriellen Wilhelm Zangen verbunden.
Den 8. Mai 1945 hatte Mannesmann-Generaldirektor Wilhelm Zangen (1891–1971) ganz sicher nicht als Befreiung wahrgenommen. Sein Vorstandszimmer musste er räumen. Die Mannesmann-Hauptverwaltung am Rheinufer in Düsseldorf wurde zum Sitz der britischen Militärregierung. Die Mannesmann-Röhren-Werke standen ganz oben auf den Demontagelisten und Entflechtungsplänen der Alliierten. Damit verbunden war ein Programm der politischen Überprüfung, Internierung und Strafverfolgung der NS-Industriellen. Von Juli bis November 1945 wurde er inhaftiert. Der Grund: Er war seit 1938 Mitglied der NSDAP, Mannesmann profitierte von Rüstungsaufträgen und setzte in der Produktion auch Zwangsarbeiter ein. Die Arisierung der Hahnschen Werke in Duisburg-Großenbaum und weiterer Unternehmen der Hahn-Gruppe war ebenfalls unter seiner Federführung vorgenommen worden.
Jetzt stand der 54-Jährige unter Arrest. Zeit zum Nachdenken. Der gebürtige Duisburger, Sohn eines Maschinisten, hatte es ohne Abitur und Studium geschafft, zum Mannesmann-Generaldirektor aufzusteigen. Seine Gedanken kreisten um den Fortgang seiner beispiellosen Karriere. Die NS-Zeit betrachtete er als „Wegeunfall“. „Den Arrest trage ich, wie so mancher Unschuldige ihn tragen muss“, schrieb er in seinen „Aufzeichnungen“. Er habe bereits 1942 die militärische Niederlage vorausgesehen, Kontakte zu Ludwig Erhardt gepflegt und den wirtschaftlichen Wiederaufbau des Mannesmann-Konzerns nach dem Krieg im Blick gehabt. Politik sei im Übrigen nie sein Geschäft gewesen.
Die Alliierten wussten seine Rolle in der NS-Zeit nicht so recht einzuschätzen, so ging er 1948 zunächst als „Mitläufer“ durch und wurde als „unbelastet“ eingestuft. Zangen wollte unbedingt seinen alten Sessel als Generaldirektor der Mannesmannwerke zurück. Das war nicht einfach, es gab Widerstände gegen seine Rückkehr. Mit Hartnäckigkeit, Energie und Geschick pflegte er das Netzwerk prominenter Geschäftsfreunde während seiner „Zwangspause“. Die Journalistin Nina Grunenberg beschrieb in dem Buch „Die Wundertäter“ den NS-Unternehmertypus als „patriarchalisch, ständestaatlich und antikommunistisch“. Zangen nutzte das Geflecht persönlicher Verbindungen und finanzieller Beteiligungen aus alten Zeiten. Vor allem zu Hermann Josef Abs von der Deutschen Bank, die als Großaktionärin bei Mannesmann seit eh und je ein wichtiges Wort mitzureden hatte. Abs hielt Zangen für einen tüchtigen Mann. Zangen seinerseits respektierte die Schlüsselrolle von Abs. Die Deutsche Bank hatte sich ausbedungen, die Vorstandsmitglieder zu bestimmen, mit denen sie zusammenarbeiten wollte. Als auch der DGB-Vorsitzende Hans Böckler nach einem 4-Augen-Gespräch mit Zangen grünes Licht gab, wurde er einstimmig zum Vorstandsvorsitzenden der Mannesmann-Röhrenwerke gewählt. Zangen konnte im Nachkriegsdeutschland am 1. Dezember 1948 wieder in die alte Position als Vorstandsvorsitzender zurückkehren. Historiker sehen darin einen Beleg für eine Kontinuitätslinie der deutschen Wirtschaftselite von 1942 bis 1966.
Zangen gehörte zum Typ des kantigen Führers in einer hierarchisch konservativen Männerwelt, er war gleichzeitig aber auch ein findiger Netzwerker, der zudem über Verhandlungsgeschick verfügte. Gleichwohl war sein Handeln in der NS-Zeit moralisch anfechtbar. Können und Erfahrung konnte man ihm nicht absprechen. Er war der Erste, der seinen Konzern durch alle Klippen der Rückentflechtung hindurch zu einem Global Player machte. Lapidar vermerkte der alte Haudegen: „Unsere Aktionäre konnten zufrieden sein.“ Den Respekt vor seiner Aufbauleistung teilten auch viele Menschen in der Stahlstadt Duisburg. Die Demontage der Alliierten wurde gestoppt. Die Bombentreffer hatten im Huckinger Werk 1945 zwar deutliche Spuren hinterlassen, aber das Stahl- und Walzwerk in Großenbaum war weitgehend verschont geblieben. 1952 bekam die jüdische Familie Hahn im Restitutionsverfahren zur Wiedergutmachung 55 Prozent der Aktien zurück. Der andere Teil verblieb bei Mannesmann, das 1958 das gesamte Unternehmen übernahm. Mannesmann entwickelte sich zu einem breit aufgestellten Technologiekonzern. Heute ist das Unternehmen Geschichte: Im Jahr 2000 wurde der Konzern nach der Vodafone Übernahme zerschlagen.
Autor: Harald Küst
Dieser Beitrag ist zuerst in der Rheinischen Post vom 07.05.2023 erschienen.
Zum Weiterlesen
Gruneberg, Nina, Die Wundertäter, Netzwerke der deutschen Wirtschaft 1942-1966
Stroux, Sara, Architektur als Instrument der Unternehmenspolitik
Tipp
Ausstellung „110 Jahre Behrensbau. Architektur und Geschichte“ im Haus der Geschichte Nordrhein-Westfalen am Mannesmannufer in Düsseldorf, 24. Mai bis 5. November 2023