Kleine Schnecke mit globaler Bedeutung – Kauris als Zahlungsmittel
von Dr. Andrea Gropp
Kauris sind Meeresschnecken, die in tropischen Gefilden relativ nahe der Wasseroberfläche, etwa an Küsten und Korallenriffen, leben. Es gibt zahlreiche Unterarten dieser Spezies, doch diejenigen, welche als Zahlungsmittel genutzt wurden (Cypraea annulus und Cypraea moneta), sind vor allem im Indischen und Pazifischen Ozean, aber auch im Roten Meer heimisch. Um sie zu sammeln, legt man Zweige ins seichte Wasser, an denen sich die Schnecken sammeln. Anschließend trocknet man sie in der Sonne oder vergräbt sie bis das Fleisch verrottet ist. Zurück bleibt das etwa 15-35 mm große und angenehm glatte Gehäuse.
Schon in steinzeitlichen Gräbern in China wurden solche Kaurigehäuse gefunden, die damals als Schmuck oder Amulett genutzt wurden. Auch in Mesopotamien, Ägypten und in Teilen Europas fanden die Schnecken im Altertum in dieser Form Verwendung. Dabei scheinen sie vor allem als Fruchtbarkeitssymbol angesehen worden zu sein; vermutlich da sie aufgrund ihrer Form mit dem weiblichen Geschlechtsteil assoziiert wurden. In Teilen Asiens und Westafrikas nutzen Gebärende Kauris bis heute als Glücksbringer.
Etwa ab 1650 v. Chr. wurden die Schnecken in China als Belohnung verschenkt, spätestens um 1400 v. Chr. sind sie dort auch als Zahlungsmittel belegt. Etwa um 1000 v. Chr. konnte der chinesische Bedarf an Kauris schon nicht mehr gedeckt werden; daher kamen Imitationen aus verschiedenen Materialien wie Knochen, Holz, Ton, Jade, Türkis, Silber, Kupfer oder Bronze in Umlauf. Daneben blieben aber natürlich auch weiterhin die richtigen Kauris in Benutzung, auch wenn es immer wieder Versuche seitens der Regenten gab, diese durch andere Geldformen, etwa Münzen oder Papiernoten, zu ersetzen. Marco Polo, der das Land im 13. Jh. n. Chr. bereiste, berichtete von den Kauris, die zu seiner Zeit nicht nur als Geld, sondern weiterhin auch als Schmuck genutzt wurden. Noch heute wird das chinesische Schriftzeichen, das eine stilisierte Kauri darstellt, bei über 200 zusammengesetzten Wörtern verwendet, die etwas mit Geld, Ware, Opfer, Wert und Handel zu tun haben.
Neben Indien waren die Philippinen und vor allem die Malediven Produktionsgebiete der Kauri-Währung. Arabische Reisende berichteten im 9. Und 10. Jh. vom Kauri-Reichtum der Inseln, der sich schließlich zu einer Art Monopol auf die Schneckenwährung auswuchs. Von hier aus wurden die Kauris nach Indien und weiter nach China transportiert. Ein Bericht des auf den Malediven gestrandeten Seefahrers François Pyrard von 1602 illustriert dies: „ … they [die Kauris] are fished twice a month, three days before and three days after the new moon, as well as at the full, and none would be got at any other season. The women gather them on the sands and in the shallows of the sea, standing in the water up to their waists. They call them Boly, and export to all parts an infinite quantity, in such wise that in one year I have seen thirty or forty whole ships loaded with them without other cargo. All go to Bengal, for there only is there a demand for a large quantity at high prices. The people of Bengal use them for ordinary money, although they have gold and silver and plenty of other metals; and, what is more strange, kings and great lords have houses built expressly to store these shells, and treat them as part of their treasure.“[1] Interessant an diesem Zitat ist, neben dem Berichteten selbst, die Selbstverständlichkeit mit der Pyrard die Nutzung von Gold und Silber als Geld ansieht. Entsprechend kurios mutet ihn die Kauriwährung an. Interessant an seinem Bericht ist auch, dass die Kauris auf den Malediven nur zu bestimmten, vom Mond abhängigen Zeiten gesammelt wurden – dies verweist auf einen spirituellen Hintergrund auch dieser Währung.
Nicht nur in China zahlte man mit Kauris, sondern auch in Korea, Japan, Thailand und anderen asiatischen Ländern war diese Währung verbreitet. Von den Malediven exportierten arabische Händler die Kauris über Persien nach Afrika. Rasch stiegen die Schnecken zum wichtigsten Zahlungsmittel des Kontinents auf. Erstes wichtiges Zentrum war um 1300 die Handelsstadt Timbuktu, von wo aus sich die Kauris über große Teile Afrikas verbreiteten. Vor allem in Ost- und Zentralafrika waren die Schnecken ein beliebtes Zahlungsmittel, wurden aber auch als Schmuck geschätzt.
Im Mittelalter waren es venezianische Händler, die für Nachschub sorgten; Venedig hatte den Handel mit Kauris monopolisiert. Mit der steigenden Nachfrage nach billigen Arbeitskräften auf den Zuckerrohrplantagen Amerikas war es ab dem 16. Jahrhundert vor allem der Sklavenhandel über den Atlantik, der die Schnecken in Afrika weiter zirkulieren ließ. Kaufleute aus Portugal, den Niederlanden und England brachten Kauris aus dem Indischen Ozean nach Guinea, wo sie sie mit Gewinn abstießen – und Sklaven an Bord nahmen, die sie wiederum in Amerika verkauften. Aber auch deutsche und französische Handelshäuser waren an der Einfuhr von Kauris nach Afrika beteiligt. Dies intensivierte die Nutzung der Kauris auch an der Westküste.
Generell galt, dass der Wert der Kauris umso höher war, je weiter entfernt vom Produktionsort man sich befand. Für größere Beträge zog man die Kauris auf Schnüre auf oder zahlte mit abgepackten Bündeln und Säckchen.
Im Laufe der Jahrhunderte wurden immer mehr Kauris nach Afrika importiert. 1721 waren es etwa 150 Millionen Schnecken, doch schon ca. 1850 kann man einer Einfuhr von einer Milliarde im Jahr ausgehen. Im gesamten 19. Jahrhundert wurden etwa 75 Milliarden Kauris nach Afrika transportiert. Die konstante Einfuhr durch europäische Kaufleute sorgte zunächst für die weite Verbreitung der Schnecken-Währung. Doch im Laufe des 19. Jahrhunderts führte der ungebrochene Zustrom allmählich zu einer Inflation. Der Wertverlust zeigt sich deutlich, wenn man Preise über die Zeiten miteinander vergleicht: In Uganda betrug der Brautpreis um 1600 zwei Kauris. Um 1810 war er auf 30 Kauris angestiegen. Gleichzeitig erhielt man in dieser Zeit für zehn Kauris eine Kuh. Ein Jahrhundert später, 1911, zahlte man für eine Kuh 2000 Kauris.
Auch die fantastisch anmutenden Preise im Sudan illustrieren das Problem: Zu Beginn des 19. Jahrhunderts kostete der Bau eines Hauses etwa 16 Millionen, der Bau einer Kirche 160 Millionen Kauris. In jener Zeit gab es sogar den Beruf des Zählers, der pro Tag etwa 250.000 Kauris zählen konnte. Der Wert der Kauris sank teilweise so stark, dass die von einem Menschen transportierbare Menge kaum noch genügend Kaufkraft hatte, als dass sich der Transport gelohnt hätte. Gleichwohl blieben die Kauris gerade auf lokalen Märkten trotz entgegengesetzter Bemühungen der verschiedenen Kolonialregierungen noch sehr lange in Umlauf.
Auch in Europa erfreuten sich die Schnecken großer Beliebtheit. Schon in der römischen Kaiserzeit wurden sie offenbar von Frauen als Schmuck getragen und den Verstorbenen als Beigabe ins Grab gelegt. Besonders im Frühmittelalter waren die Kauris in Europa weit verbreitet; so wurden sie etwa in Schweden, in der Schweiz, in Deutschland, in Ungarn und in Westrussland, aber auch in England und Frankreich gefunden. Teilweise handelt es sich dabei um verschiedene Unterarten der Kauri. Die Mehrzahl der Schnecken fand sich als Beigabe in Gräbern und hier vor allem bei weiblichen Verstorbenen. Dies wird als Indiz für die Nutzung der Kauris als Symbol für Fruchtbarkeit gedeutet. Eine Nutzung der Schnecken in Europa als Geld ist hingegen nicht belegt.
In der Neuzeit gelangten die Kauris vor allem im Rahmen des Handels mit Afrika und Amerika auch auf die europäischen Märkte. Wichtige Städte für den internationalen Kaurihandel waren im 17. und 18. Jh. London, Lissabon, aber auch Hamburg und vor allem Amsterdam. Die Kauris wurden von Handelskompanien oder privaten Kaufleuten in Westafrika zum Kauf von Waren, vor allem aber von Sklaven genutzt. Europäische Händler brachten die Kauris auch nach Nordamerika. Ob sie hier auch als Zahlungsmittel umliefen, ist nicht gesichert. Allerdings wurden sie auch hier in Gräbern gefunden und spielten teilweise bei Zeremonien eine Rolle.
1872 wurde die Kauriwährung in Indien nicht mehr anerkannt. Mitte des 20. Jhs. kamen die Schnecken auch in Afrika allmählich außer Gebrauch. In Papua-Neuguinea werden kleinere Transaktionen bis heute auf lokaler Ebene vereinzelt mit Kauris abgewickelt.
Keine andere Währung der Welt kann auf eine so lange Geschichte blicken wie die Kauri. Darüber hinaus ist sie mit Nachweisen in Asien, Afrika und Europa auch das geographisch am weitesten verbreitete Zahlungsmittel.
Ihre Spur hat sie aber auch in unserer Sprache hinterlassen: Schon im 14. Jahrhundert nannte man sie auf Italienisch auch porcella, was so viel bedeutet wie „kleines weibliches Schwein“, aber auch das weibliche Geschlechtsorgan meinen konnte und die Schnecke einmal mehr mit Fruchtbarkeitsaspekten verband. Der Name wiederum wurde auf die Keramik übertragen, deren glänzend-glatte Oberfläche an die Kauris erinnert.
[1] … sie [die Kauris] werden zweimal im Monat gefischt, drei Tage vor und drei Tage nach dem Neumond, sowie bei Vollmond, und zu keiner anderen Jahreszeit kann man sie bekommen. Die Frauen sammeln sie aus dem Sand und aus den Untiefen des Meeres, wobei sie bis zu den Hüften im Wasser stehen. Sie nennen sie Boly und exportieren eine unendliche Menge in alle Gegenden, so dass ich in einem Jahr dreißig oder vierzig Schiffe mit ihnen beladen gesehen habe, ohne andere Ladung. Alle gehen nach Bengalen, denn nur dort gibt es eine Nachfrage nach einer großen Menge zu hohen Preisen. Die Menschen in Bengalen benutzen sie als gewöhnliches Geld, obwohl sie Gold und Silber und andere Metalle im Überfluss haben; und, was noch merkwürdiger ist, Könige und hohe Herren haben Häuser eigens zur Aufbewahrung dieser Muscheln gebaut und behandeln sie als Teil ihres Schatzes.” François Pyrard: The Voyage of François Pyrard of Laval to the East Indies, the Maldives, the Moluccas and Brazil. London 1887; S. 236–239.
Literatur:
- Georg Aumann: Primitives Geld – vormünzliche Zahlungsmittel. Erläuterungen zu den Schausammlungen des Naturwissenschaftlichen Museums Coburg, Heft 19. Coburg [o. J.]; S. 6–11.
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- Xandra Dalidowski, Christine Leßmann, Norma Literski: Ein reich ausgestattetes Kindergrab der älteren Merowingerzeit. Auf: http://www.lda-lsa.de/landesmuseum_fuer_vorgeschichte/fund_des_monats/2008/dezember/ (abgerufen am 18.08.2020).
- Paul Einzig: Primitive Money: In its Ethnological, Historical and Economic Aspects. London 1948 [Reprint: 1951]; S. 384.
- Yvonne Gönster: Wertvoll. Über nichtmünzliche Zahlungsmittel aus aller Welt. (Begleitheft der gleichnamigen Ausstellung des Deutschen Schloss- und Beschlägemuseums Velbert). Velbert 2017; S. 6f.
- Uta Greifenstein: Fremdes Geld. Tauschmittel und Wertmesser außereuropäischer Gesellschaften. (Begleitheft zur gleichnamigen Ausstellung der Commerzbank zusammen mit dem Museum für Völkerkunde Frankfurt). Frankfurt 1989; S. 29–32.
- Michael Hauser. Aus der Geschichte der vormünzlichen Zahlungsmittel. (Begleitheft zur gleichnamigen Ausstellung der Volksbank Offenburg). Offenburg 22000; S. 14f.
- Peter Hofrichter: Kauris – Kulturgeschichte. Henstedt-Ulzburg 1991.
- Jan Hogendorn; Marion Johnson: The Shell Money of the Slave Trade. Cambridge 1986.
- Horst Kimpel: Traditionelle Zahlungsmittel. Wuppertal 1994; S. 53–105.
- Hingston Quiggin: A Survey of Primitive Money – The Beginning of Currency. New York/London 1970; S. 25–36.
- Margit Kohl: Mit Muscheln zahlen – oder doch nicht. Was man für eine Handvoll Muscheln wirklich kaufen kann – ein Selbstversuch. http://www.sueddeutsche.de/reise/papua-neuguinea-mit-muscheln-zahlen-oder-doch-nicht-1.459600, Artikel vom 17.05.2010 (abgerufen am 07.08.2020).
- François Pyrard: The Voyage of François Pyrard of Laval to the East Indies, the Maldives, the Moluccas and Brazil. London 1887; S. 236–239.
- Andrea Reikat: Präkoloniale Geldformen in Westafrika. Abschlußarbeit zur Erlangung des Magister Artium im Fachbereich 8 der Johann Wolfgang Goethe Universität, Frankfurt/M. (unveröffentlicht). 1989.
- Gerhard Rohlfs: Land und Volk in Afrika. Berichte aus den Jahren 1865–1870, Frankfurt am Main 2018 [Reproduktion; Original: Bremen 1870]; S. 44.
- Hermann Schleich (Hrsg.): Muscheln, Salz und Kokosnüsse. Geld der Naturvölker – Vormünzliche Geldformen. (Begleitheft zur gleichnamigen Ausstellung im Fuhlrott-Museum Wuppertal). Wuppertal 2000; S. 14–17.
- René Sedillot: Muscheln, Münzen und Papier. Die Geschichte des Geldes. Frankfurt 1992; S. 41f.