Staaten, die keine mehr sind
Sie alle wissen was ein Staat ist. Sie kennen auch Privatpersonen, Unternehmen, Vereine und Kirchen. Um was für eine Art Körperschaft es sich bei Ritterorden und Indianerstämmen handelt, das wissen die wenigsten. Beide Fälle sind zugegebenermaßen auch nicht Teil unseres Alltags. Es sei denn, man arbeitet wie ich an zwei Ausstellung für das KSM: Einer über Fotos von den Indianern Nordamerikas (ab 27.09.20) und einer über die geistlichen Ritterorden des Mittelalters (ab 14.03.21).
Bei meinen Recherchen zur Vorbereitung der Ausstellungen traf ich auf zwei Organisationen, die früher mal staatliche Autorität genossen und diesen Status heute nicht ganz aufgeben wollen: Den Malteserorden und die Irokesen-Föderation. Beide haben in ihrer jeweiligen Hochphase souverän ein Territorium beherrscht und Kriege geführt. Diese Zeit ist vorbei. Wenn man genauer nachschaut, ist man aber verblüfft, wie viel Eigenständigkeit beide Organisationen bis heute beanspruchen und zum Teil auch gewährt bekommen.
Der „Souveräne Ritter- und Hospitalorden vom Heiligen Johannes von Jerusalem von Rhodos und von Malta“, kurz Malteserorden, ist der Rechtsnachfolger des mittelalterlichen Hospitaliterordens. Zur Zeit der Kreuzzüge als Orden geistlicher Krankenpfleger gegründet, mussten die Brüder bald Söldner anheuern und schließlich Ritter und Knappen in den Orden aufnehmen, um ihren Besitz zu schützen. Als geistlicher Orden waren sie Teil der (West-) Kirche und unterstanden dem Papst in Rom. Im 14. Jahrhundert eroberten sie allerdings die Insel Rhodos von den (orthodox-)christlichen Byzantinern und errichteten dort einen eigenen Staat. Sie erließen Gesetze, prägten eigenes Geld und verteidigten ihr Territorium gegen andere Staaten – jedenfalls bis sie die Insel 1523 an das osmanische Reich verloren und sich 1530 stattdessen einen neuen Inselstaat auf Malta schufen. Inzwischen war auch die Reformation im Umlauf und Teile des Ordens spalteten sich ab, um protestantische Orden zu gründen. Der katholische Rumpforden wurde nach seiner neuen Insel Malteserorden genannt. Der geistliche Inselstaat bestand noch bis er 1798 von Napoleon erobert wurde. Seit 1834 hat der Orden seinen Sitz in Rom. Heute ist der Malteserorden ein „Subjekt des Völkerrechts“ ohne eigenes Territorium. Damit ist er kein Staat mehr, verfügt aber über viele Eigenschaften von Staaten. Er brachte noch letztes Jahr einen Satz Münzen seiner eigenen Währung heraus. Diese sind aber als Zahlungsmittel nirgendwo anerkannt. Der Orden hat ein eigenes KFZ-Kennzeichen (S.M.O.M.) und betreibt unter dem Malteserkreuz ein Freiwilligencorps innerhalb der italienischen Armee. Ferner unterhält das Großmagisterium des Ordens diplomatische Beziehungen zu 110 Staaten und stellt seinen Diplomaten eigene Reisepässe aus.
Dieses staatliche Hoheitsrecht beansprucht seit 1923 auch die Irokesenföderation bzw. Irokesenliga. Diese ist genau genommen kein Stamm im US-Amerikanischen oder kanadischen Rechtsverständnis. Sie umfasst auch nicht alle Sprecher der irokesischen Sprachfamilie. Zwischen 1450 und 1660 schlossen sich fünf Stämme (Mohawk, Oneida, Seneca, Onandaga und Cayuga) im Gebiet der großen Seen im östlichen Waldland Nordamerikas ohne Mitwirkung der europäischen Kolonisten zu einer Föderation zusammen. Gegen 1720 traten noch die Tuscarora der Liga bei. Während des „french and indian war“, dem amerikanischen Schauplatz des Siebenjährigen Krieges (1754–1763), zerbrach das Bündnis. Ebenso im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg (1775–1783). Während manche Stämme auf Seiten der Briten kämpften, unterstützen andere ihre Gegner. Auch wenn diese beiden Beispiele dagegen sprechen, war die Föderation eine Territorialmacht, die die Kolonisten ernst nehmen mussten. Erst die Entstehung der Staaten USA und Kanada zerschnitt das Gebiet der Irokesen und trennte sie in Untertanen, später Bürgern, zweier verschiedener Staaten der euro-amerikanischen Einwanderer. Diese definieren einen Stamm als politische Verwaltungseinheit, die sich aus den Bewohnern eines bestimmten Reservats zusammensetzt, ohne Rücksicht auf Abstammung und Muttersprache. Die Nachfahren der „six nations“ der Föderation gehören daher heute zu weit mehr als sechs anerkannten Stämmen. Die Einheit der Irokesen oder Haudenosaunee, wie sie sich selbst nennen, und der Wille nach souveräner Selbstverwaltung ohne Trennung in US-Amerikaner und Kanadier sind aber nach wie vor spürbar. Der Rat der Irokesenföderation erließ eigene Kriegserklärungen gegen das Deutsche Reich 1917 und 1942. Irokesische Soldaten nahmen in den Uniformen der USA und Kanadas an beiden Weltkriegen teil. Seit 1983 hat die Föderation eine eigene Lacrosse Nationalmannschaft, die „Iroquois Nationals“. In den Jahren 2014 und 2018 belegte sie in den Weltmeisterschaften jeweils den dritten Platz. Zu Auslandsspielen reist die Mannschaft mit irokesischen Reisepässen, nicht mit denen der USA oder Kanadas. 2010 und 2015 konnte die Mannschaft nicht an Spielen in Großbritannien teilnehmen, weil sie nicht ins Land gelassen wurden. Zu einer Meisterschaft in Israel 2018 kamen sie nur mit Verzögerung an. Die Inkaufnahme dieser diplomatischen Schwierigkeiten zeigt den Stolz der Mannschaft und ihre Rolle für das irokesische Selbstbewusstsein.