Steinreich in Mikronesien – das Steingeld von Yap
von Dr. Andrea Gropp
Auf dem Archipel Yap in der Inselwelt Mikronesiens war lange Zeit ein schwergewichtiges Zahlungsmittel in Gebrauch: Hier wurde mit in der Mitte gelochten Steinscheiben bezahlt, die einen Durchmesser zwischen 30 cm und knapp 4 m haben und teilweise mehrere Tonnen wiegen.
Im Norden von Yap bezeichnet man die Steine als „Fei“, im Süden ist der Begriff „Rai“ gebräuchlich. Darüber hinaus gibt es aber auch einige „Steine mit eigenem Namen“.
Die erste eindeutige Erwähnung der Steine ist von 1843, allerdings sollen einige Steine älter als 300 Jahre sein. Letztlich ist unbekannt, seit wann das Steingeld existiert.
Die Steine wurden nicht auf den Inseln Yaps gefertigt, sondern stammen von der etwa 450 Kilometer entfernten Inselgruppe Palau. Üblicherweise waren es junge Männer, die mit Genehmigung ihres Dorfoberhaupts nach Palau reisten. Mit Gelbwurzpulver und Betelnüssen oder kleineren Dienstleistungen erkauften sie sich dort das Recht, Steine zu brechen, die sie anschließend mit Bambusflößen in ihre Heimat transportierten. Da für Hin- und Rückreise bestimmte Windverhältnisse nötig waren, dauerte eine solche Expedition teilweise ein Jahr oder länger. Zudem waren diese Reisen mit gewissen Risiken verbunden – sowohl für die Gesundheit der Männer als auch für die Steine selbst: Es kam vor, dass Sie kurz vor Fertigstellung zu Bruch gingen oder bei der Heimreise untergingen. Letzteres war allerdings vergleichsweise unproblematisch, wie der Bericht eines Einheimischen nahelegt: „Im nahe gelegenen Dorf lebte eine Familie, deren Reichtum unbestritten war – von allen anerkannt wurde –, und doch hatte niemand, nicht einmal die Familie selbst, diesen Reichtum jemals zu Gesicht bekommen oder berührt. Er bestand aus einem riesigen Fei, dessen Größe allein durch Überlieferung bekannt war, denn er lag seit zwei oder drei Generationen auf dem Grund des Meeres.“
Kleinere Steine konnten zwar auch physisch den Besitzer wechseln, doch es war üblich, dass die großen Steine nicht im Rahmen eines Kaufvorgangs ausgetauscht wurden, sondern stets an derselben Stelle verblieben, häufig gut sichtbar vor einer Hütte oder am Wegesrand. Es existieren ganze „Alleen“ dieser Steine. Die Besitzverhältnisse des jeweiligen Steins waren im kollektiven Gedächtnis der Dorfgesellschaft festgehalten, wobei man einen Stein auch anteilig besitzen konnte, so dass ein Stein mehr als einen Besitzer hatte. Transaktionen erfolgten also nur im Bewusstsein der Menschen. Oftmals gehörten die Steine auch nicht einzelnen Personen, sondern befanden sich im Besitz einer Familie oder der ganzen Dorfgemeinschaft. Die Gemeinschaft konnte sich mit den Steinen etwa die Hilfe eines anderen Dorfes erkaufen, Konflikte beilegen oder Verträge besiegeln. Es galt als ehrenvoll, in vielen Dörfern Steine zu besitzen.
Steingeld galt als „Männergeld“, mit dem man vor allem Land, Boote, Häuser oder Priester und Heiler bezahlte; Frauen zahlten mit Muscheln, mit denen sie vor allem alltäglichere Dinge erwarben. Darüber hinaus kam das Steingeld bei bestimmten Feierlichkeiten sowie als Brautpreis zum Einsatz. Allerdings blieb der Geltungsbereich der Steine immer auf Yap beschränkt; im Kontakt mit den Bewohnern anderer Inseln kamen andere Wertgegenstände zum Einsatz.
Es ist schwierig, allgemeine Aussagen über die Kaufkraft der Steine zu treffen. Ihr Wert hing von der Größe, der Ebenmäßigkeit, der Farbe, aber auch von der mit ihnen verbundenen Geschichte ab. Hinzu kam, dass reichere Personen und Familien mehr bezahlen mussten, als ärmere. Die Kaufkraft variierte im Laufe der Zeit, auch in Abhängigkeit von der Geschichte des Archipels. Die Geschichte von „His Majesty O’Keefe“ stellt in diesem Zusammenhang eine besondere Zäsur dar: Der Amerikaner David O’Keefe erlitt 1871 Schiffbruch und wurde auf Yap gesund gepflegt. Das Steingeld, das er hier kennenlernte, brachte ihn auf eine lukrative Idee: Er erwarb in Hongkong eine Dschunke, die er nach seiner Frau „Katherine“ nannte und bot den Yapesen an, sie auf diesem Schiff schnell und sicher nach Palau zu fahren. Für diesen Dienst ließ er sich mit Kopra (getrocknetes Kokosfleisch) bezahlen und setzte auf diese Weise bald mehr Kopra um als die drei anderen europäischen Handelsstationen zusammen. Teilweise waren bis zu 400 Yapesen gleichzeitig in den Steinbrüchen Palaus aktiv. Viele von ihnen verschuldeten sich, indem sie mehrere Kokosnussernten im Voraus verpfändeten, um sich die Überfahrt leisten zu können. O’Keefe wurde auf diese Weise ungeheuer reich; er kaufte die Insel Taraang, heiratete hier zwei Frauen – obschon er in Amerika bereits Familie hatte – und ließ sich als „King“ ansprechen. Durch ihn kamen bis zu O’Keefes Tod 1901 etwa 150 Steine pro Jahr zusätzlich nach Yap – und lösten hier eine Inflation aus. Die Geschichte wurde 1954 mit Burt Lancaster in der Hauptrolle unter dem Titel „His Majesty O’Keefe“ verfilmt.
Auch wenn sich die Werte der Steine in diesem Zusammenhang verändert hatten, stabilisierte sich das System erneut. Yap, das seit dem 16. Jh. in spanischem Besitz gewesen war, wurde 1899 an das Deutsche Reich veräußert. Die deutsche Kolonialverwaltung erkannte das Steingeld als Zahlungsmittel an, beschaffte sich selbst einige große Stücke und erwarb sich dadurch eine geachtete Stellung als Obrigkeit bei den Einwohnern. Die Verwaltung versuchte, die Steine in ein festes Verhältnis zur deutschen Währung zu bringen, wobei auch die bekannten Wertentsprechungen nur „Momentaufnahmen“ sind: 1900 entsprach ein Stein von 57 cm Durchmesser 7 Sack Kopra zu je 3,50 Mark. 1910 war ein Stein von 35 cm Durchmesser 400 Kokosnüsse wert. 1912 galt ein Stein von 40 cm als Äquivalent zu 2 Mark. Die deutsche Kolonialregierung führte eine Kopfsteuer ein, wobei die Produktion von Kopra und der Bau von Straßen die wesentlichen Erwerbsmöglichkeiten darstellten. Wer dem nicht nachkam, musste damit rechnen, dass seine Steine gepfändet wurden, indem die Bezirksregierung sie mit „K. B. A.“ (= Kaiserliches Bezirksamt) markierte. Die deutsche Akzeptanz des lokalen Geldsystems trug zu einem guten Verhältnis zwischen Yapesen und Kolonialmacht bei.
1914 besetzten japanische Soldaten die Insel. Nach dem Ersten Weltkrieg stand Yap nominell zwar unter Verwaltung des Völkerbundes, de facto aber unter japanischer Herrschaft. Eine gängige Strafe der neuen Herrscher war die Zerstörung oder Zweckentfremdung von Steingeld. Während 1929 noch 13.281 Steine existierten, zählte man Mitte der 60er Jahre nur noch etwa 6600. Nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst unter US-amerikanischer Verwaltung stehend, schloss sich Yap 1979 gemeinsam mit anderen Inselstaaten zu den seit 1991 vollständig unabhängigen Förderierten Staaten von Mikronesien zusammen.
Der jüngste Stein wurde in den 30er Jahren hergestellt. Seit der Zeit der amerikanischen Verwaltung gilt der US-Dollar als offizielle Währung Yaps. Doch auch wenn das Steingeld seine frühere Bedeutung verloren hat, hat es seine Gültigkeit doch keineswegs eingebüßt: Bis heute ist es das gängige Zahlungsmittel für Strafen. Ein Fall aus den 80er Jahren erlangte über Yap hinaus Bekanntheit: Jugendliche waren mit ihrem Auto lärmend durch ein fremdes Dorf gefahren und wurden dort gefangengenommen, da dieses Verhalten als ungebührlich gilt. Erst nachdem der Chief ihres Dorfes sie durch Zahlung eines mittelgroßen Steins ausgelöst hatte, wurden sie freigelassen. Auch Land wird bis heute mit Steinen bezahlt. Und noch immer sind die Besitzverhältnisse im kollektiven Gedächtnis der Gesellschaft dokumentiert, obschon das Wissen darum immer mehr verloren geht; teilweise sind Fragen nach den Eigentumsverhältnissen an Steinen Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen. Das wiederum passt gut zum Ursprungsmythos der Steine: Der boshafte Zauberer Angumag soll der Legende nach die ersten Steine gebrochen haben – und so seien Eifersucht, Krieg und Zwietracht nach Yap gekommen… Doch trotz dieser durchaus kritischen Sichtweise auf ihr Geld, halten die Yapesen an den Steinen fest: Menschen und Regierungen kommen, so sagen sie, doch die Steine bleiben.
Quellenangaben
- Georg Aumann: Primitives Geld – vormünzliche Zahlungsmittel. Erläuterungen zu den Schausammlungen des Naturwissenschaftlichen Museums Coburg, Heft 19. Coburg [o. J.]; S. 34–37.
- Paul Einzig: Primitive Money: In its Ethnological, Historical and Economic Aspects. London 1948 [Reprint: 1951]; S. 48–52.
- Yvonne Gönster: Wertvoll. Über nichtmünzliche Zahlungsmittel aus aller Welt. (Begleitheft der gleichnamigen Ausstellung des Deutschen Schloss- und Beschlägemuseums Velbert). Velbert 2017; S. 18f.
- Uta Greifenstein: Fremdes Geld. Tauschmittel und Wertmesser außereuropäischer Gesellschaften. (Begleitheft zur gleichnamigen Ausstellung der Commerzbank zusammen mit dem Museum für Völkerkunde Frankfurt). Frankfurt 1989; S. 83–86.
- Thomas Lautz: Steinreich in der Südsee. Traditionelle Zahlungsmittel in Mikronesien. Köln 1999.
- Hingston Quiggin: A Survey of Primitive Money – The Beginning of Currency. New York/London 1970; S. 144–146.
- Horst Kimpel: Traditionelle Zahlungsmittel. Wuppertal 1994; S. 119 –128.
- Felix Martin: Geld, die wahre Geschichte. Über den blinden Fleck des Kapitalismus. München 2014.
- Hermann Schleich (Hrsg.): Muscheln, Salz und Kokosnüsse. Geld der Naturvölker – Vormünzliche Geldformen. (Begleitheft zur gleichnamigen Ausstellung im Fuhlrott-Museum Wuppertal). Wuppertal 2000; S. 47–51.
Bildnachweise
- Stein auf Yap. Foto: Yanajin33. Auf: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Little_world,_Aichi_prefecture_-_Stone_Money_of_Yap,_Micronesia.jpg (abgerufen am 07.10.2020), CC BY-SA 3.0.
- Transport von Steingeld. Bild: British Library HMNTS 10491.i.2. Auf: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:HH1883_pg125_Hafen_von_Jap.jpg (aberufen am 07.10.2020), CC-0.
- 3) Steingeld vor einem Haus. Foto: Dr. James P. McVey, NOAA Sea Grant Program. Foto: Dr. James P. McVey. Auf: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Palau_house_with_yapese_stones_NOAA.jpg (abgerufen am 07.10.2020), CC-0.
- Foto: Filo gèn’. Auf: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Coconut_on_white_background.jpg (abgerufen am 07.10.2020), CC BY-SA 1.0.
- Foto: Ben Mieremet. Auf: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Colonia1_Yap_NOAA.jpg (abgerufen am 07.10.2020), CC-0.
- Siegel von Yap. Foto: Zygmunt Put Zetpe0202. Auf: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Seal_of_the_State_of_Yap.jpg (abgerufen am 07.10.2020), CC0 1.0.