Von Hirsebrei und Walfischtran – Ein Blick hinter die Museums-Kulissen
Wir alle sehnen uns nach einer Rückkehr zur Normalität und natürlich auch danach, unsere Besucherinnen und Besucher wieder bei uns empfangen zu dürfen. Die Zeit der coronabedingten Schließung haben wir aber auch genutzt, um ein wenig in unseren Sammlungen zu stöbern. Bei so vielen Regalmetern, wie sie in unseren Magazinen zu finden sind, sind wir uns selbst manchmal gar nicht bewusst, welche Schätzchen und Kuriositäten dort schlummern. Umso schöner, dass Ruth Löffler, langjährige Kuratorin bei uns im Museum, sich auf Entdeckungstour gemacht hat und uns in diesem Beitrag zwei ihrer Fundstücke vorstellt.
Die Hirsebreifahrten von Zürich nach Straßburg
Zahlreiche gut gekleidete Herren auf einem Langboot prosten sich mit ihren Pokalen zu. Sie sind bei Sonnenuntergang in Straßburg gelandet und feiern den Erfolg ihrer Reise. Mittig im Boot stehen Musikanten, vor ihnen ein großer Topf, in dem sich Hirsebrei befindet.
Die Geschichte begann 1456 mit einem Freischießen in Straßburg. Damals waren Bürger verpflichtet, ihre Städte zu verteidigen und mussten deshalb Schießübungen absolvieren, das sog. Freischießen. Daraus entstanden unsere heutigen Schützenfeste.
Züricher Bürger nahmen an diesem Freischießen in Straßburg teil. Sie wollten den Straßburgern beweisen, im Kriegsfall innerhalb eines Tages zur Hilfe eilen zu können.
Die Züricher waren sicher, die Strecke an einem Tag zu bewältigen, der mitgeführte gekochte Hirsebrei würde bei der Ankunft in Straßburg noch warm sein. Normalerweise dauerte diese Fahrt mit Ruderbooten drei Tage.
An Bord befanden sich reichlich Semmeln und ein großer Topf mit warmem Hirsebrei, umwickelt mit Stroh und Lumpen. Am frühen Morgen ging die Schiffsreise los, zuerst auf der Limmat, dann auf Aare und Rhein. Und tatsächlich, nach etwa 22 Stunden Fahrt konnten die Züricher ihren Hirsebrei den Straßburgern noch warm übergeben und die Semmeln dazu reichen. Der Rekord wurde gebührend gefeiert.
Im Jahr 1576 organisierte der Rat der Stadt Straßburg erneut ein Freischießen. Im Juni erreichten 54 Züricher, Angehörige des Stadtrates und der Zünfte, wiederum mit warmem Hirsebrei die Stadt. Der Züricher Gold- und Silberschmied Abraham Gessner war mit auf dem Boot. Er fertigte zur Erinnerung an dieses Ereignis eine verzierte und vergoldete Silberschale an. Eine eingravierte Gedenkschrift erinnert an diese besondere Schifffahrt vom 21. Juni 1576. Die kostbare Schale wird heute im Schweizerischen Nationalmuseum in Zürich aufbewahrt.
Seit 1976 finden die Hirsebreifahrten alle zehn Jahre statt, immer noch mit hölzernen Langbooten. Heutzutage lässt man sich allerdings etwas mehr Zeit, ein großes Rahmenprogramm begleitet die Hirsebreifahrten unserer Tage.
P. S. Hirse gibt es in unserem Land schon sehr lange. Archäologische Funde aus der Leipziger Gegend belegen die Nutzung von Hirse um 5000 v. Chr., in der sog. Jungsteinzeit. Dies ist die Zeit, in der die Menschen sesshaft wurden und Ackerbau und Viehzucht betrieben.
Walfischfang im Nordpolarmeer
Walfang existiert schon sehr lange und gehörte zur Lebensgrundlage der indigenen Völker wie der Inuit, früher Eskimo genannt. Sie verwerteten alle Teile des Wals für Nahrung, Kleidung und Gerätschaften. Auf der Tschuktschen-Halbinsel im äußersten Nordosten Russlands fand man bei Ausgrabungen ein 3000 Jahre altes Stück Walrosselfenbein mit Gravierungen einer Waljagd, Booten und Harpunen. Im Mittelalter waren besonders die Basken im Walfang aktiv.
Entdeckungsreisende wie Willem Barendsz oder Henry Hudson berichteten um das Jahr 1600 von sehr reichen Beständen an Grönlandwalen bei Spitzbergen im Nordatlantik (Abb. 2+3). Bald danach begannen Engländer und Niederländer mit der Jagd, etwas später sendeten Städte an Nord- und Ostsee Walfangschiffe aus, ebenso wie Kolonisten aus Nantucket an der Ostküste Nordamerikas.
Der Grund für diese gefährlichen Fahrten zum Walfang in nordischen Gewässern war der Tran. Tran, auch Polaröl oder Walöl genannt, wurde gewonnen aus dem Fett (Blubber) von Meeressäugern wie Walen und Robben. Diese Speckschicht konnte bis zu 70 cm dick sein. Waltran wurde bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts als Lampenöl benutzt. Es war der erste flüssige Brennstoff, der in großen Mengen verfügbar war.
Außerdem verwendete man ab dem 17. Jahrhundert die Barten des Blauwals für das sog. Fischbein, die Korsettstangen im Mieder der Damen, sowie für Regenschirme (Abb. 4).
Die Barten bestehen aus Hornsubstanz, wie unsere Fingernägel, sie sitzen im Oberkiefer und können bis zu 4 Meter lang werden.
Walrat aus dem Kopf des Pottwales diente für besonders hell brennende Kerzen, auch für Kosmetik und Schmiermittel. Von den 1920er bis zu den 1960er Jahren wurde Walöl in Margarine verarbeitet.
Sehr begehrt war auch Ambra, eine graue, wachsartige Substanz aus dem Verdauungstrakt von Pottwalen. Sie wurde für die Herstellung von sehr teuren Parfüms verwendet (Abb. 5).
Mit der sog. Grönlandfahrt begann im 17. Jahrhundert der Walfang durch Städte an Nord- und Ostsee. Emden sandte ab 1643 Schiffe ins nördliche Polarmeer aus. 1644 stieg Hamburg sehr erfolgreich in die Grönlandfahrt ein, gefolgt von Glückstadt 1671 und Altona 1685. Bremen finanzierte zwischen 1695 und 1798 eine Flotte von 1081 Walfangschiffen, von denen lediglich 22 auf See blieben. Auch aus Lübeck und Flensburg fuhren ab dem 17. Jahrhundert zahlreiche Fangschiffe Richtung Nordmeer und kehrten mit reichem Fang zurück.
Die Reisen in die Fanggründe bei Spitzbergen und Richtung Grönland dauerten von April bis zum September und waren ein sehr gefährliches Geschäft. Schiffe konnten im Eis eingeschlossen und vom Eisdruck zerstört werden (Abb. 6). Stürme ließen Schiffe kentern, Männer gingen über Bord und erforen in Sekundenschnelle. Wale griffen Fangboote an und brachten sie zum Kentern (Abb. 7).
Abbildung 8 zeigt die Verarbeitung von Walen an Land. Zwei Matrosen entfernen das Fett eines Wals, sie specken ihn ab. Daher stammt der Ausdruck abspecken für die Gewichtsabnahme. Den Speck des Tieres tragen zwei weitere Matrosen zu einem Tisch, auf dem das Fett mit Flensmessern in kleine Stücke geschnitten wird. Diese kommen in den Tranofen, werden ausgekocht und dadurch flüssig. Der Waltran fließt durch eine Rinne in einen mit kaltem Wasser gefüllten Trog. Zum Transport wird der abgekühlte Tran in Fässer gefüllt. Nicht umsonst liegt die nächste Ortschaft in weiter Ferne, denn die Tranherstellung war eine wenig wohlriechende Angelegenheit.
Im 17. und 18. Jahrhundert geschah die Verarbeitung der Wale überwiegend an den Küsten von Grönland und Spitzbergen. Aber auch auf See konnten Wale abgespeckt werden, dazu wurden sie längsseits am Schiff vertäut (Abb. 9).
Ab 1923 konnte der Fang fabrikmäßig auf Schiffen weiterverarbeitet werden.
Zahlreiche Nationen nahmen am intensiven Walfang Teil, was zu einer Überfischung in den arktischen Gewässern führte. In den 1930er Jahren erkannte man endlich, wie groß die Gefährdung für den Walbestand war und der Völkerbund, eine Vereinigung europäischer Staaten, beschloss eine Beschränkung des Walfangs. Die Internationale Walfangkommission (IWC) gründete sich 1948 und regelte die Walfangquoten. Seit 1986 gilt ein Aussetzen des gesamten Walfangs. Ausnahmen gelten für indigene Völker, für Fänge zu wissenschaftlichen Zwecken und es gibt einige Länder, die sich nicht an die Vereinbarungen gebunden fühlen. Japan schied 2019 aus der IWC aus und nahm den kommerziellen Walfang wieder auf.
Abb. 1, 2, 6, 10, 11
aus: Zorgdrager, C. G, Alte und neue Grönländische Fischerei und Wallfischfang … Leipzig 1723.
Abb. 3-5, 7-9
aus: Wilhelm, G. T., Unterhaltungen aus der Naturgeschichte, Wien 1832.