Wie Perlen zu Geld werden – Wampum aus Nordamerika
von Dr. Andrea Gropp
Üblicherweise trifft man Währungen schon voll ausgebildet an und kann ihre Ursprünge allenfalls vermuten. Beim nordamerikanischen Wampum verhält sich dies ein wenig anders. Zwar kennt man nicht den Ursprung des Wampum selbst, allerdings lässt sich seine Geschichte als Zahlungsmittel historisch gut fassen.
Der Begriff „Wampum“ stammt aus den östlichen Algonkin-Sprachen und bedeutet etwa „weiße Kette“. Die so bezeichneten Ketten wurden von Teilen der amerikanischen Urbevölkerung an der Küste Connectituts, auf Rhode Island und vor allem auf Long Island aus weißen und violetten Meeresschnecken und -muscheln gefertigt. Bevor Metallwerkzeuge in Gebrauch kamen, schliff und durchbohrte man die Schalentiere mit Steinwerkzeugen. Anschließend wurden diese Perlen auf Schnüre aus Pflanzenfasern oder Tiersehnen aufgezogen.
Seit wann Wampum gefertigt wurden, ist nicht sicher auszumachen. Sicher ist aber, dass vor allem die Stämme der Algonkin, der Irokesen und der Huronen im Nordosten der heutigen USA bzw. im Südosten Kanadas den Perlen einen hohen Wert beimaßen. Der Seefahrer Jacques Cartier, der 1535 das Irokesen-Dorf Hochelaga besuchte, berichtet über die Sankt-Lorenz-Irokesen, „the most precious thing that they have in this world is esnogny [Wampum], the which is white as snow. […] they make bead money and use it as we do gold and silver, and hold it the most precious thing in the world.“[1] Auch andere Berichte aus dem 16. und 17. Jh. erwähnen, dass die Perlen für die Einheimischen von großer Bedeutung waren. Allerdings war der Vergleich mit Gold und Silber möglicherweise ein Mißverständnis: Die Irokesen lebten und wirtschafteten in weitgehend autarken Großfamilien und hatten keinen Bedarf an einer Währung in unserem Sinne. Gleichwohl gab es den Austausch von Gaben zwischen verschiedenen Gruppen und hier spielten wohl auch Wampum-Perlen eine Rolle. Allerdings wäre die Bedeutung von Wampum in solchen Fällen nach europäischen Kategorien vermutlich eher politischer und sozialer als wirtschaftlicher Natur.
Mehrere Wampumschnüre wurden zu Geflechten verarbeitet, die einem sehr breiten Gürtel glichen. Diese erfüllten verschiedene Zwecke. Die Irokesen etwa sahen sich weniger als Individuen, denn als Träger ewiger Namen, die nach dem Tod weitergegeben wurden. Ein Bericht aus dem Jahr 1642 erzählt, wie dies vonstatten ging: „It has often been said that the dead were brought back to life by making the living bear their names. […] This ceremony takes place at a solemn feast in the presence of many guests. He who brings back the dead to life makes a present to him who is to take his place. He sometimes hangs a collar of Porcelain beads [Wampum] around his neck. If the latter accept, he takes the name of the deceased, and begins to dance before all the others, as a mark of rejoicing.“[2] Jedes irokesische Stammesoberhaupt besaß einen speziellen Wampumgürtel als Zeichen seines oder ihres Amtes, der dem Nachfolger oder der Nachfolgerin übergeben wurde. Wampum war darüber hinaus das übliche Wergeld nach einem Mord – und ebenso die Brautgabe. Wollte ein junger Mann heiraten, so übergab er der Familie, in die er einzuheiraten wünschte, Wampum. Akzeptierte diese die Gabe, konnte die Hochzeit stattfinden. Auch bei Toten- und Trauerriten spielte Wampum eine wichtige Rolle. Und Versammlungen wurden durch Wampumgürtel einberufen, an deren einem Ende ein eingekerbter Holzstab befestigt war, dessen Kerben der Zahl der Tage bis zur Versammlung entsprachen.
Sicherlich ihre bekannteste und vielleicht auch größte Bedeutung hatten Wampumgürtel als „Vertragsdokumente“: Jeder diplomatische Vorgang zwischen verschiedenen Gruppen wurde mithilfe von Wampum eingeleitet und vollzogen. Wurden Vereinbarungen getroffen, Friedensschlüsse vereinbart oder andere wichtige Abmachungen ausgehandelt, so wurden diese in Wampumgürtel „hineingesprochen“ und den beteiligten Gruppen ausgehändigt. Damit ist gemeint, dass Gürtel gefertigt wurden, deren – häufig abstrakte – Motivik an die Abmachungen erinnerte und diese damit für alle Beteiligten dokumentierte. Ein solcher Gürtel wurde dem Vertragspartner auf die Schultern gelegt. Schüttelte dieser ihn ab, bedeutete dies eine Ablehnung, beließ er oder sie ihn, galt die Verabredung und alle beteiligten Gruppen erhielten identische Gürtel ausgehändigt. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die Gürtel auch als „Worte“ bezeichnet wurden. Auch bei Clan-internen Versammlungen nutzten die Irokesen Wampumgürtel, um die Bedeutung und die Wahrhaftigkeit des Gesagten zu unterstreichen. Um die Bedeutung der Gürtel nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, wurden einige Männer ausgebildet, die Muster korrekt interpretieren zu können.
Zwei Beispiele zeigen, wie solche Wampumgürtel aussahen und welche Bedeutung sie hatten. Der sogenannte „Hiawatha-Belt“ erinnert an die Gründung der Irokesen-Konföderation, vermutlich Mitte des 15. Jhs. Fünf zuvor verfeindete Stämme schlossen sich damals zusammen. Die Vorstellung hinter dem Motiv ist die eines Langhauses, unter dessen Dach alle fünf Stämme friedlich zusammenleben: Im Osten wachen die Mohawk über den östlichen Eingang. Daneben folgen die über das Ratsfeuer wachenden Oneida. Die Onondaga werden durch den Friedensbaum in der Mitte symbolisiert, an dessen Fuß die Waffen und der Hass begraben sind. Wegen ihrer Position gelten die Ondondaga bis heute als Traditionsbewahrer. Ihnen benachbart sind die Cayuga und schließlich die Seneca, die den westlichen Eingang des Hauses bewachen. Die Eigenbezeichnung der Irokesen Haudenosaunee bedeutet „Leute des Langhauses“ und bezieht sich auf dieses Bild.
Der „Two Row Wampum” geht auf eine Vereinbarung zwischen den niederländischen Siedlern und der Irokesen-Konföderation aus dem Jahre 1613 zurück. Die beiden Linien repräsentieren die Irokesen-Konföderation und die niederländischen Kolonisten. Einige sagen, sie stellen ein indianisches Kanu und ein europäisches Boot da, die Seite an Seite dahinfahren, einander nahe und verbrüdert, nicht aber einander störend. Andere sehen in den beiden Linien zwei Spuren wie sie durch Wagenräder entstehen, die etwa Handelsgüter transportieren – „Wir sehen Handel und Frieden als dieselbe Sache“, wird ein Irokesen-Chief zitiert. Einigkeit herrscht jedoch darüber vor, dass der Gürtel das vereinbarte friedliche Miteinander zwischen Einheimischen und Siedlern dokumentiert. Auch wenn Historiker heute anzweifeln, dass die Niederländer mit den Irokesen einen Vertrag in rechtlich bindendem Sinne geschlossen haben, spielt diese Einigung bis heute eine wichtige Rolle in der Beziehung zwischen dem Bundesstaat New York und den in der Region lebenden Haudenosaunee. So wurde etwa die Frage, ob Schüler der Lafayette High School im traditioneller Kleidung zur Graduierungsfeier erscheinen dürfen, im Sinne der „two rows“ 2006 positiv beschieden.
Da einige der Funktionen von Wampum nach dem Verständnis der zeitgenössischen Europäer denen eines Zahlungsmittels ähnelten, ist leicht vorstellbar, dass Wampum als ‚Geld der Indianer‘ wahrgenommen wurde. Nach heutigem Wissensstand hatten die Perlen aber vor Ankunft der Siedler nicht diesen monetären Charakter. Wie also erhielten sie ihn?
Da die Siedler wussten, dass diese Wampumgürtel und auch einzelne Perlen für die Ureinwohner von Bedeutung waren – und sie sie ja für deren Geld hielten –, schickten sich insbesondere die niederländischen Kolonisten Anfang bis Mitte des 17. Jhs. an, selbst Wampum zu fertigen bzw. fertigen zu lassen. Händler kauften Perlen, ließen diese von einheimischen Frauen auf Schnüre aufziehen und handelten diese dann weiter. Damit erstanden sie vor allem Biberfälle von den indigenen Bewohnern des Landesinneren. Gleichzeitig erkannte die einheimische Bevölkerung, dass sie Wampum im Handel mit den Europäern nutzen konnte. Im Gegenzug erhielten sie Kleidung, Metallwaren und Alkohol. Beide Seiten betrachteten Wampum als Mittel zum Handel miteinander.
Bedingt durch die gestiegene Nachfrage und unterstützt durch die Metallwerkzeuge der Neuankömmlinge wurde sehr schnell sehr viel Wampum produziert. Überdies wurde auch in Europa gefertigtes Wampum importiert. Hinzu kam für die niederländischen Kolonisten ein weiteres Problem: Die britischen Konkurrenten nutzten zwar zunächst ebenfalls Wampum, allerdings nicht so umfassend wie die Niederländer. Schon Mitte des 17. Jhs. gaben sie es in ihren Kolonien weitgehend auf. Das in Umlauf befindliche Wampum floss nach Nieuw Nederland ab. Gleichzeitig ging mit den britischen Kolonien ein großer Absatzmarkt für Wampum verloren. Es hatte seinen Wert nur noch zwischen Ureinwohnern und niederländischen Siedlern sowie interessanterweise auch zwischen den Siedlern untereinander. Für die Regierung der Kolonie Nieuw Nederland war dies ein ernstes Problem, denn sie besaß keine Kontrolle über die Wampumproduktion. Verbieten konnte sie die Perlen auch nicht, da die lokale Wirtschaft von ihnen abhängig war. Versuche, die Währung abzuwerten, konnten die zunehmende Inflation nicht aufhalten. Auch bedingt durch diese wirtschaftlichen Probleme wurde Nieuw Amsterdam, Verwaltungssitz von Nieuw Nederland, 1664 britisch und trug fortan den Namen New York.
Wann und wie Wampum dann wirklich außer Gebrauch geriet, lässt sich nicht so leicht sagen. Vermutlich blieb es noch einige Zeit als Kleingeld in Umlauf. 1693 konnte man die Fähre zwischen Long Island und New York wahlweise mit zwei Pence in Silber oder mit Wampum bezahlen. Spätestens Mitte des 18. Jhs. war es aber kein offiziell anerkanntes Zahlungsmittel mehr.
Doch auch wenn ihre Funktion als Zahlungsmittel vorbei war, so blieb doch der kulturelle Wert der Wampumschnüre für die amerikanischen Ureinwohner davon unberührt. In den letzten Jahren wurden auf Betreiben der Haudenosaunee mehrere Wampumgürtel aus Museen in den Besitz der Ureinwohner zurückgegeben. Noch immer spielt Wampum bei traditionellen Zeremonien eine wichtige Rolle.
Und 2016 überreichte eine Delegation der Haudenosaunee dem Weißen Haus ein Wampum, verbunden mit einer Einladung an Präsident Barack Obama, gemeinsam bestimmte Probleme und Themen zu diskutieren. Die Onondaga, die Schützer der Traditionen der Haudenosaunee, bewahren bis heute das Wissen über die Bedeutungen der Wampumgürtel. Für sie sind sie etwas viel Wertvolleres als Geld – sie bezeichnen sie als „lebendige Geschichte“.
[1] Jacques Cartier: A memoir of Jacques Cartier, sieur de Limoilou, his voyages to the St. Lawrence, a bibliography and a facsimile of the manuscript of 1534. New York 1906; S. 165f. Auf: https://archive.org/details/memoirofjacquesc01baxt (abgerufen am 20.11.2020).
[2] Reuben Thwaites (Hrsg.): The Jesuit Relations and Allied Documents: Travels and Explorations of the Jesuit Missionaries in New France, 1610–1791. Band 22. Cleveland 1898; S. 289. Auf: https://archive.org/details/jesuits22jesuuoft/mode/2up (abgerufen am 20.11.2020).
Literatur
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- Darren Bonaparte: The Disputed Myth, Metaphor and Reality of the Two Row Wampum. Auf: http://wampumchronicles.com/disputedmythtworowwampum.html (aberufen am 20.11.2020).
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