Dr. Andrea Gropp, stellvertretende Leiterin des Stadtmuseums, zur antiken weiblichen Götterwelt und der Muttergottesfigur.
Von Harald Küst
RP: In Ihrer Ausstellung „Göttliche Geheimnisse“ im Stadtmuseum lernen Besucher eine Vielzahl von antiken Göttinnen kennen. Ganz im Gegensatz zum Christentum. Gott, Jesus, die Jünger, die Priester, die Patriarchen, die Päpste, das sind alles Männer. Am 15. August ist der katholische Festtag Mariä Himmelfahrt – Ist Maria eine Quotenfrau im männlich dominierten christlichen Gottesbild?
Andrea Gropp: In der Tat gab es in der Antike eine große Vielfalt weiblicher Gottheiten, und die Vorstellung von Göttinnen war weit verbreitet. Das änderte sich mit der Ausbreitung des Christentums. Unter dem Einfluss gesellschaftlicher und politischer Veränderungen kam es in den monotheistischen Religionen zu einer Betonung männlicher Gottesbilder.
RP: Ihre Ausstellung „Göttliche Geheimnisse“ im Stadtmuseum zeigt die Göttin Isis mit dem Horusknaben. Eine Mutter-Figur, die dem Kind auf ihrem Schoß die Brust bietet. Das ähnelt Maria mit dem Jesusknaben in der Karmelkirche am Innenhafen. Trifft das zu ?
Andrea Gropp: Ein Einfluss der Isis-Figur auf die Darstellung von Maria mit dem Jesuskind erscheint auf den ersten Blick naheliegend – beide sind weibliche Symbolfiguren. Dennoch gibt es historische und kulturellen Unterschiede.
RP: Welche Differenzierungen zwischen Isis-Kult und dem Marienkult sind wichtig?
Andrea Gropp: Der Isis-Kult war Teil der polytheistischen hellenistischer Religion. Von Griechen und Römern gleichermaßen verehrt, entwickelte sich um die ägyptische Göttin ein antiker Mysterienkult, der seinen Anhängern ein erfülltes Leben im Diesseits wie im Jenseits verhieß. Der traditionsreiche Marienkult sieht dagegen Maria als Mittlerin zwischen den Menschen und Gott. Maria wird zur Helferin in schwierigen Lebenslagen.
RP: Spiegelt sich in der Marienverehrung die Sehnsucht vieler katholischer Christen nach einer weiblichen Seite des Göttlichen?
Andrea Gropp: Mariä Himmelfahrt am 15. August gilt in der Tat als der große Frauentag der Katholiken. Die Menschen wandten und wenden sich in allen Lebenslagen an Maria, sei es bei Naturkatastrophen, bei Krankheit oder in anderen schwierigen Lebenssituationen. Der meist aufgesuchte Platz in der Karmelkirche ist das Marienbild mit dem Jesuskind; hier kommen Menschen, um sich einen „guten Rat“ zu holen.
RP: Einen Gedenktag für die Gottesmutter Maria kennt das frühe Christentum bereits seit dem 5. Jahrhundert. Es soll angeblich als Gegenstück zur Himmelfahrt der heidnischen Göttin Astraea entstanden sein?
Andrea Gropp: Es gibt keinen bekannten Zusammenhang zwischen Mariä Himmelfahrt und den heidnischen Göttin Astraea. Die Art und Weise, wie sich religiöse Feste im Laufe der Zeit entwickeln, kann jedoch durch die Interaktion und kulturelle Auseinandersetzung mit verschiedenen Glaubenssystemen beeinflusst werden.
RP: Könnte es sein, dass im Glaubenssysteme der Zukunft antike Göttinnen in anderer Form wiederkehren?
Andrea Gropp: Das kann niemand ausschließen.
RP: Vielen Dank für den neuen Blick auf die weibliche Seite des Göttlichen.
Tipp: Ausstellung im Stadtmuseum bis 15. Oktober: Göttliche Geheimnisse – Sterben und Wiederauferstehen in antiken Mysterienkulten